„Es fühlt sich ziemlich demokratisch an, bis jetzt“

KONZERT Was passiert, wenn eine Familie zum Ensemble wird? Ein Interview mit Helena, Max und Alexander Baillie, die am Samstag mit reichlich Bach in der Hochschule für Künste konzertieren

■ studierte Bratsche und Geige am Curtis Institut of Music in Philadelphia und ist unter anderem Preisträgerin beim ARD-Wettbewerb. Sie lebt und arbeitet in New York

Interview: Henning Bleyl

taz: Sie spielen jeweils auch in anderen Ensembles. Wie unterscheidet es sich, wenn man mit seiner Familie musiziert?

Helena Baillie: Als wir vorhin mit den Proben begannen, war ich tatsächlich verblüfft. Wir haben jahrelang nicht zusammen gespielt, und trotzdem hatte ich sofort das sichere Gefühl, dass wir uns sehr weitgehend aufeinander einlassen und viel riskieren können. Ich bin mit dem Celloklang meines Vaters aufgewachsen, der ist sozusagen auf meiner Festplatte gespeichert – aber das hatte ich nicht erwartet.

Max Baillie: Für uns ist das ein ganz besonderes Projekt, für das wir uns gemeinsam frei genommen haben von unserer sonstigen Arbeit. Meistens kann man nicht auswählen, was man spielt oder mit wem. Und es gibt Dirigenten oder Stimmführer.

Alexander Baillie: Oder eine andere dominierende Persönlichkeit.

Gerade in Familien existieren Hierarchien. Schon altersbedingt, zwischen Eltern und Kindern und in den Geschwisterbeziehungen. Ist so etwas bei Ihrem gemeinsamen Musizieren nicht spürbar?

H.B.: Wenn wir spielen, denke ich nicht: Das ist meine Familie. Sondern: Das sind phantastische Musiker. Es fühlt sich ziemlich demokratisch an, bis jetzt!

Ein Streicher-Trio ist ja tatsächlich eine sehr gleichberechtigte Angelegenheit, es gibt keine zweite Geige. Aber wer hat beispielsweise das Programm Ihre Konzerts ausgesucht?

H.B.: Die Goldberg-Variationen hat Max vorgeschlagen.

M.B.: Aber dann war noch offen, wer die Bratsche und wer die Violine übernimmt. Wir spielen beide beides.

A.B.: Habt Ihr eine Münze geworfen?

H.B.: Nein, Max hat mir die Entscheidung überlassen.

Läuft bei Ihnen tatsächlich alles so harmonisch? Völlig ohne Streit?

M.B.: Wenn wir uns streiten würden, hätten wir keinen Spaß. Und dann wäre die Musik nicht gut.

Als Vater ist es vermutlich unvermeidlich, dass man seinen Kindern gegenüber zunächst eine Lehrerrolle hat. Wann war es zum ersten Mal soweit, dass Sie sich von Ihren Kindern haben „überstimmen“ lassen – zum Beispiel in einer interpretatorischen Frage?

■ ausgebildet an der Yehudi Menuhin Schule und der Cambridge Universität (Politik). Lebt und arbeitet als Musiker in London

A.B.: Als Ensemblespieler gehört es ohnehin dazu, dass man manchmal Sachen begleitet, die man selbst vielleicht anders ausgestalten würde. Es gibt immer viele Arten, etwas zu interpretieren.

M.B.: Es gibt dieses Video von uns, wo ich sechs Jahre alt bin und ich mit meinem Vater ein Duo spiele. Da sage ich immer: „Langsamer, wir müssen das langsamer spielen!“ Also, ich hatte offenbar schon sehr früh meine eigenen Geschmack und meine Vorstellungen im Zusammenspiel.

A.B.: Wenn ich mich wie ein Familienvater verhalten würde, der immer Anweisungen gibt, wäre das schade. Es ist ohnehin, auch in anderen Ensembles, wichtig, dass man seine Anregungen eher neutral formuliert, sozusagen diplomatisch. Ich sage zu Max also nicht: „Könntest Du diese Passage nicht ein weniger lebendiger spielen“, sondern „Glaubst Du, die Sechzehntel könnten auch tanzen?“

Was hat sich im Lauf der Zeit in Ihrem Zusammenspiel verändert?

H.B.: Als wir Kinder waren, wollten unsere Eltern immer, dass wir zusammen spielen. Diesmal war es umgekehrt: Wir haben unseren Vater dazu eingeladen, gemeinsam dieses Konzert vorzubereiten.

A.B.: Und jetzt haben wir tatsächlich eine Aufgabe: Wir müssen uns aneinander angleichen, wir haben sehr verschieden Arten zu spielen. Auch die Frage der Tempiwahl wird entscheidend sein: Der Unterschied zwischen traumhaft schön und „es funktioniert nicht mehr“ ist oft haarscharf.

Was wäre anders, wenn Ihre Mutter beziehungsweise Frau – ebenfalls eine ausgebildete Violinistin – mitspielen würde?

Christel Baillie: Ich müsste erstmal wahnsinnig viel üben!

A.B.: Das wäre schön! Eigentlich sind wir als Familie ein klassisches Klavierquintett. Helenas Zwillingsschwester spielt Flügel. Aber sie hat sich entschieden, Rechtsanwältin zu werden.

War es Ihnen wichtig, dass zwei Ihrer Kinder ProfimusikerInnen würden?

A.B.: Ich fand es gut, dass Sie Musiker wurden – unabhängig davon, ob sie das professionell machen würden oder nicht. Dass jetzt solche Konzerte möglich sind, prägt natürlich unsere Familienidentität.

■ Solist und Kammermusiker, beteiligt an zahlreichen Uraufführungen etwa von Henze, Penderecki und Lutoslawski. Professor für Cello an der Bremer HfK

Wie erlebt man das als Kind?

H.B.: Das hat uns auf jeden Fall geprägt. Es war immer schön, Papa auf der Bühne zu sehen. Zumal er auch sehr viel weg und unterwegs war.

M.B.: Als Kind habe ich mich im Konzert manchmal schon gelangweilt. Aber wir durften Bücher mit hinein nehmen.

A.B.: Ehrlich gesagt, wenn mich meine Eltern früher in Konzerte schleppten, wäre ich lieber gestorben.

Ihr Konzert am Samstag beginnt um 15 Uhr, also zu einer für Kinder kompatiblen Zeit. Würden Sie denen einen Besuch empfehlen?

A.B.: Auf jeden Fall! Kinder sind willkommen. Diese Musik ist Europas Schatz – und der verschwindet, wenn er nicht weiter gegeben wird. Die eventuelle Unruhe eines Kindes im Konzert ist nicht störender als das Husten eines Erwachsenen beim Ausklang eine Satzes. Aber wer sich auf die Goldberg-Variationen einlässt, kann unglaublich viel erleben.

Konzert: Samstag um 15 Uhr in der Hochschule für Künste, Standort Dechanatstraße . Das Programm ist Bach-zentriert: Mozarts „Präludium und Fuge nach Bach“, Eislers „Präludium und Fuge über B-A-C-H“ und Bachs Goldberg-Variationen in Sitkovetskys Arrangement für Streichtrio