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Archiv-Artikel

ZWISCHEN DEN RILLEN Singen im deutschen Herbst

Eric Pfeil: „Ich habe mir noch nie viel aus dem Tag gemacht“ (Trikont/Indigo)

Pfeils zwanglose, aber nie belanglose Songs zeigen, was die Sonne aus der Liebe macht

Eric Pfeil war immer eine Art Phantom der Musikszene. Der Mann hinter den Dingen, der sich selbst nie ins Rampenlicht gedrängt hat. Der Ghostwriter, der Charlotte Roche mit flockigen Moderationen zum Rollenmodell intelligenter Fernsehunterhaltung verholfen hat. Der Kolumnist, der für die nicht popaffine FAZ ein lesenswertes Online-Tagebuch führte und der Schriftsteller, der einen feinen, musikaffinen Roman verfasste.

Man könnte sich Pfeil auch als liebenswerte Nervensäge und Möchtegern-Dandy vorstellen, ein Zwitterwesen, ausgestattet mit messerscharfem Verstand, gutem Geschmack und ausgefuchstem Humor.

Nun hat Eric Pfeil sogar ein eigenes Album veröffentlicht. Der erste Gedanke muss mit den Worten von Barbara Schöneberger wiedergegeben werden: „Jetzt singt er auch noch.“ Zahlreiche semibegabte Schauspieler haben ihre Songs bereits auf Platte gepresst, will Pfeil ihnen etwa Konkurrenz machen? Ist er der Reinhold Beckmann der Semiprominenz?

Die Erwartungen waren also dementsprechend niedrig, aber Eric Pfeil belehrt uns eines besseren. Zum Glück! Denn „Ich habe mir noch nie viel aus dem Tag gemacht“ ist eine Bereicherung für deutschsprachigen Pop, weil die Pfeil’schen Texte zwanglos, aber nicht belanglos klingen.

Angenehm naiv und bilderbuchartig hüpft der Auftaktsong „Drachentöter“ drauf los wie eine Grille. Mit Glockenspiel, beschwingt-anarchistischem Selbstbewusstsein und kleinem Chor ist er sofort zum Lieblingslied meiner vierjährigen Tochter avanciert.

Das bleibt beim nächsten Song ähnlich, der mit Schweineorgel, sehnsuchtsvollem Posaunensatz und Handclaps ausgestattet ist und „Reproduktion“ heißt. „Du siehst aus wie ein Sarg / Doch du willst Reproduktion / Ich hab gar keine Zeit / Aber schön wär es schon.“ Klingt beim Lesen nach Schüttelreim, lässt einen in gesungener Fassung aber sofort zustimmen. „Bin ich nur schlecht durchblutet oder tot?“

Alles, was melancholisch klingt, ist in so viel Leichtigkeit verpackt, dass man die Melancholie erst mal überhört. Außerdem versteht es Eric Pfeil einfach, zu texten. Egal, ob Moderationen, erzähltes Popwissen oder Songs. Keine noch so absurde Klammer klingt verkrampft originell, kein noch so banaler Zusammenhang wirkt aufdringlich. Pfeils Texte sind immer direkt und niemals gestelzt. Auch wenn es vielleicht alles erdachte Geschichten sind, hat man das Gefühl, Mr. Pfeil würde einem sein Herz höchstselbst ausschütten. Man sitzt daneben und denkt: „Erzähl weiter, ich hör gerne zu.“

Vernachlässigter Battisti

In „Süden“ zeigt der Italienfan, der auch das komplette Album-Artwork dieser Leidenschaft widmet, was die Welt der Sonne aus der Liebe macht. Die schwindende Beziehung poppig verpackt, ernüchternd und doch schwelgerisch. Im Untertitel ist es „(Für Lucio Battisti)“, eine längst fällige Widmung an einen sträflich vernachlässigten Cantautori. Auch klasse, „Der Mann, der Venedig hieß“ – traurig, bezaubernd, lächelnd mit einer Träne im Knopfloch. „Venedig sehen und sterben, Venedig sterben sehen.“

Eric Pfeil hat ein Herz aus Pop, er kennt die schönen Wörter und der Soul fließt durch seine Finger. „Bezahlt mich gut und ihr kriegt Soul.“ Die Melodien schmiegen sich ins Ohr, Texte und Musik sind unaufdringlich, und dennoch interessant.

Schade, dass „Ich habe mir noch nie viel aus dem Tag gemacht“ nicht schon ein halbes Jahr früher erschienen ist. Denn eine idealere Sommerplatte scheint gar nicht möglich.

Am Baggersee „Der Mann der Venedig hieß“ mitsingen, unbeschwert Autofahren gen Mittelmeer mit „Süden“ und lauschige, angetrunkene Abende auf dem Balkon mit „Lieblingszahl“. Hoffentlich wird der Herbst noch golden. Apropos singende Journalisten: Reinhold Beckmann soll musikalisch ja auch was drauf haben. CHRISTINE KEWITZ