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Archiv-Artikel

„Die städtische Infrastruktur bricht schon heute weg“

NRW Die Verschuldung überfordert Städte und Gemeinden, sagt Experte Junkernheinrich

Martin Junkernheinrich

■ 51, ist Professor für Stadt-, Regional und Umweltökonomie an der Technischen Universität Kaiserslautern. Sein Institut erstellt regelmäßig den „Finanzbericht Metropole Ruhr“.

taz: Herr Junkernheinrich, in NRW regiert seit 2005 mit CDU und FDP eine Koalition, die im Wahlkampf mit solider Finanzpolitik wirbt. Wie hat sich die finanzielle Situation der Städte und Gemeinden in dieser Zeit entwickelt?

Martin Junkernheinrich: Die Defizite der Städte sind stark angestiegen und haben zu einer erneuten Steigerung der Kassenkredite geführt. 2004 lagen die Kassenkredite aller Kommunen in NRW bei 8,6 Milliarden Euro. 2009 waren es 17,3 Milliarden.

Welche Rolle spielt die Landesregierung dabei?

Die Landesregierung hat – wie auch ihre Vorgänger – keine hinreichenden Schritte zur Genesung der Kommunalfinanzen eingeleitet. Sie ist aber nicht für die aktuelle Wirtschafts- und Finanzkrise verantwortlich, die einen Einbruch der Steuereinnahmen verursacht hat. Allerdings muss sie sich vorwerfen lassen, dass sie das Urteil des NRW-Verfassungsgerichts zum Solidarbeitrag Ost nur für 2006 umgesetzt hat. Den Kommunen entgehen so schon kurzfristig mehrere hundert Millionen Euro.

Woher stammen die neuen Schulden dann?

Aus einer Kombination aus längerfristiger struktureller Unterfinanzierung und den Folgen der aktuellen Krise. Zentral ist, dass immer neue Aufgaben vom Bund – etwa die Betreuung der unter Dreijährigen oder das Wohngeld für Langzeitarbeitslose –, aber auch vom Land auf die kommunale Ebene übertragen werden, ohne die Finanzmittel entsprechend aufzustocken.

Haben die klammen Kommunen überhaupt eine Chance, sich aus eigener Kraft aus der Schuldenfalle zu befreien?

Sie versuchen jedenfalls, massiv zu sparen. Nehmen Sie etwa Essen im Ruhrgebiet: Die Stadt braucht jährlich Kassenkredite von rund zwei Milliarden Euro. Da reicht es nicht, Bäder zu schließen, Straßen nicht zu reparieren und bei Theatern und Büchereien zu sparen. Die Altschulden können so nicht abgetragen werden. Dabei spüren die Bürger schon heute, wie die städtische Infrastruktur wegbricht.

INTERVIEW: ANDREAS WYPUTTA