: Blick zum Nachbarn
DACHSCHADEN In Hüpede müssen Hausbesitzer ihre Dächer neu decken, weil der Region Hannover deren Farbe nicht passt. Die Neubauten sollen sich dem Ortskern anpassen
Melanie Aust, Hausbesitzerin mit dunklem Dach
VON ANDREA SCHARPEN
Über die Farbe von Dachziegeln lässt sich trefflich streiten – zumindest im niedersächsischen Hüpede. Dort deckten einige Hausbesitzer ihre Dächer in einem dunklen Anthrazitton, obwohl laut Bebauungsplan der Stadt Pattensen nur rote bis rot-braune Dächer erlaubt sind. Der Grund dafür: Die Neubauten sollen sich optisch an den historischen Ortskern anpassen.
Ein weiterer Hüpeder Bauherr fand schwarz ebenfalls schick, stellte im Gegensatz zu seinen Nachbarn aber einen Genehmigungsantrag für das dunkle Dach und wurde von der Region Hannover abgewiesen. In seinem Antrag hatte der Bauherr jedoch auf seine Nachbarn verwiesen, die ihre Häuser ganz ohne Genehmigung in der falschen Dachziegelfarbe gedeckt hatten.
„Da kann die Aufsichtsbehörde schlecht die Augen schließen“, erklärt Andrea Steding, Pressesprecherin der Stadt Pattensen. „Wäre es nicht gemeldet worden, hätte es auch keiner bemängelt“, so Steding weiter. Eine Bauabnahme vor Ort sei im Baugesetzbuch nicht mehr vorgesehen.
Der Nachbar löste mit seinen Angaben deshalb eine Lawine aus. Die Region verfügte als Bauaufsicht, dass nicht nur in diesem Neubaugebiet „Vor dem Dammfeld“, sondern auch im angrenzenden „Hohen Holzfeld“, das schon 1996 bebaut wurde, acht bis zehn Bauherren ihre Dächer neu eindecken müssen.
„Ich hätte mir mehr Fairness von dem Nachbarn gewünscht und selbst nicht andere Leute angeschwärzt“, sagt Melanie Aust enttäuscht vor ihrem cremefarben gestrichenen Haus im Astrid-Lindgren-Weg. Die anthrazitfarbenen Fensterrahmen passen farblich perfekt zu den dunklen Dachziegeln – es ist ihr Traumhaus.
Ganz bewusst hat sich die 42-Jährige mit ihrer Familie für ein Eigenheim in Hüpede, einem Ortsteil der Stadt Pattensen in der Region Hannover, entschieden. Der Ort ist das, was man ein kleines, beschauliches Dorf in Niedersachsen nennt. Rund 1.400 Einwohner leben hier, es gibt eine Grundschule, einen Kindergarten, vier Bushaltestellen und eben besagtes Neubaugebiet.
Rund um den Astrid-Lindgren-Weg, der einzigen, kreisförmigen Straße im neuen Hüpeder Wohngebiet stehen neben Bungalows mit hellroten Ziegeln und weiß verputzten Einfamilienhäusern mit glänzend-roten Dachpfannen auch fünf Neubauten mit dunklen Dächern – zum Ärger der Bauaufsicht der Region Hannover.
„Alle, die gegen die örtlichen Bauvorschriften verstoßen haben, müssen die Farbe ihrer Dächer ändern“, fordert der Pressesprecher der Region, Klaus Abelmann, und am 1. Oktober bekam die Region in einem Musterprozess gegen einen Bauherrn aus Hüpede nach einer Ortsbegehung Recht. Die dunklen Dachziegel müssen nun innerhalb sechs Monate wieder runter oder neu eingefärbt werden, sonst droht ein Bußgeld von 5.000 Euro. Dabei wird das neue Dach die Bauherrn bereits rund 15.000 bis 20.000 Euro kosten.
„Das ist einfach unverhältnismäßig“, findet Anja Gebauer, die Ehefrau des Klägers im Musterprozess. Außerdem gebe es gar kein einheitliches Ortsbild, an das die Neubausiedlung angepasst werde könnte. „Wir leben nicht in einem denkmalgeschützten Bereich mit vielen Fachwerkhäusern“, so die 36-jährige Hausbesitzerin. Es seien vielmehr nur einige alte Scheunen im Ort rot gedeckt, sonst prägten häufig auch dunkle Dachziegel das Ortsbild.
Auch Melanie Aust kann mit der geforderten Einheitlichkeit wenig anfangen. Ihr Blick streift über ihren kurz gemähten Rasen hin zu einem knallgelb gestrichenen Haus in der Nachbarschaft. „Ein dunkles Dach ist doch viel unauffälliger als so eine Fassadenfarbe“, sagt die Mutter zweier Söhne frustriert.
Wenn das Urteil aus dem Musterprozess rechtskräftig wird, bleibt Familie Aust nur, ihr Eigenheim wieder zu verkaufen. „Ich habe kein Geld, um es umdecken zu lassen“, sagt André Aust. Der Region und der Justiz wirft der 40-Jährige Regulierungswut vor. „Die Behörden wollen nur zeigen, dass sie am längeren Hebel sitzen.“
Regions-Sprecher Abelmann weist das zurück und meint: „Das ist jetzt ein kleines Signal, für alle die bauen, sich zu informieren, bevor sie den ersten Stein setzen.“ Die betroffenen Bauherren müssten die Konsequenzen tragen, schließlich hätten alle von den Bauleitplänen gewusst oder seien von ihren Architekten darüber informiert worden. „Wer immer nur einen Blick aufs Nachbardach wirft und nicht auf die Bauvorschriften, hat Pech“, so Abelmann.
Ruhe kehrt trotz des Urteils des Verwaltungsgerichts in Hüpede noch nicht wieder ein. „Ich weiß von Nachbarn, die auf jeden Fall klagen wollen, wenn der Brief von der Region kommt“, sagt Anja Gebauer. Auch André Aust möchte sich mit einem Rechtsanwalt beraten: „Ich sehe das nicht als Grundsatzurteil und werde auf keinen Fall in einem Haus mit einem roten Dach wohnen!“