: Wenn die Osteuropäer kommen
ZWEIKLASSENSYSTEM Die meisten Arbeitsmigranten aus den osteuropäischen EU-Ländern wollen Arbeit, kriegen aber keine – Sozialleistungen aber auch nicht. Manche versuchen sich darum als Verkäufer von Straßenzeitungen
Wer aus Osteuropa nach Deutschland kommt und keine Arbeit findet, hat kein Recht auf Sozialleistungen. Viele Rumänen und Bulgaren sind darum darauf angewiesen, ein bisschen Geld zu verdienen – etwa durch den Verkauf von Straßenzeitschriften wie Hinz & Kunzt in Hamburg. Dort sah man sich im letzten Jahr allerdings „überfordert“ von Osteuropäern: „Wir haben ziemliche Vorurteile gehabt“, sagt Chefredakteurin Birgit Müller. Viele hätten die Verkaufsregeln missachtet, „und wir dachten, das seien alles Bettelbanden“.
Heute weiß Müller, dass es sich um Familien handelt und „dass es toll ist, eine ganz neue Gruppe von Menschen kennenzulernen“. Trotzdem hat Hinz & Kunzt die Zahl der osteuropäischen Verkäufer reglementiert: Von den 500 Verkäufern dürfen nur 50 aus Bulgarien oder Rumänien kommen. „Und die sollten schon mindestens rudimentär Deutsch sprechen können“, sagt Müller.
Bei den Verkäufern der Bremer Zeitschrift der Straße (ZdS) dagegen gibt es keine „Rumänen-Quote“. „Jeder Bedürftige darf Verkäufer werden“, sagt Bertold Reetz, der Leiter der Wohnungslosenhilfe des Vereins Innere Mission in Bremen. Die ZdS-Verkaufsregeln sind auf Deutsch und Rumänisch formuliert, „und für diejenigen, die nicht lesen können, holen wir einen Dolmetscher“. Auch an die ZdS-Redaktion seien Gerüchte über „Banden“ herangetragen worden, „aber da war nichts dran. Manchmal sind es halt ganze Familien, die verkaufen“.
Die Befürchtung von Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU), osteuropäische Arbeitsmigranten können sich „Leistungen erschleichen“, hält Reetz für „absoluten Quatsch“. Er hat sein Büro im Bremer Jakobushaus, also genau dort, wo sich auch die Notunterkunft sowie das Übergangswohnheim für wohnungslose Männer befinden. Und vis-à-vis zelten, versteckt unter Büschen, Menschen aus Rumänien und Bulgarien. Zum Duschen und Essen kämen die Camper regelmäßig ins Haus. Von denen seien alle nach Deutschland gekommen, „weil sie arbeiten wollen“.
Der befürchtete Ansturm von Menschen aus Osteuropa sei im vergangenen Winter jedoch ausgeblieben, sagt Reetz: „Vielleicht sind einige in ihre Heimatländer zurückgefahren – jedenfalls waren viel weniger hier als wir dachten.“
In Hamburg scheint das anders zu sein. Dort hat der SPD-Senat 2011 extra eine „Anlaufstelle für Osteuropäer“ eingerichtet. An die sollen sich arbeitslose Osteuropäer erst einmal wenden. Ein Teil der dortigen Beratung besteht aus dem Angebot von „Rückkehrhilfen“ ins Heimatland. SCHN