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Archiv-Artikel

Sieg ohne Gegner

ISLAM Die konservative muslimische Gemeinschaft Milli Görüs denkt auf einem Symposium in Wuppertal über Identität nach. Sie will zeigen, dass sie diskursfähig ist. Doch Kritiker des konservativen Islams bleiben draußen

Pamela Irving Jackson empfiehlt den deutschen Muslimen, sich an den Mormonen ein Beispiel zu nehmen. Wer Erfolg hat, wird eher akzeptiert

VON STEFAN REINECKE

Ein britischer Soldat trifft in Nordirland auf einen bewaffneten katholischen Kämpfer. Der Militante fragt: Bist du Katholik oder Protestant? Der Soldat überlegt: Wenn ich Protestant sage, erschießt er mich, wenn ich Katholik sage, glaubt er mir nicht. Also sagt der Soldat: Ich bin Atheist. Okay, sagt der Militante, aber bist du ein katholischer oder ein protestantischer Atheist?

Dieser Witz, den der Istanbuler Publizist Dücane Cündioglu erzählte, hat etwas Schillerndes. Man kann ihn als Kritik am Zwangssystem Identität an und für sich deuten. Auf der Tagung „Kontextwandel und Bedeutungsverschiebungen – Die Ambivalenz neuer und alter Identitäten“ setzte sich eine engere Lesart durch. „Wir werden gezwungen, uns als muslimische Atheisten zu definieren“, so Cündioglu, der in Zeitungen schreibt, die der türkischen Regierungspartei AKP nahestehen.

Damit war der Grundton angeschlagen: Die religiösen Muslime stehen in Europa unter unmäßigem Anpassungsdruck. Sie sind Opfer einer ignoranten Mehrheitsgesellschaft, die keine religiöse Differenz erträgt. Die augenscheinlichen Symbole dafür sind das Minarettverbot in der Schweiz und das Kopftuchverbot in Frankreich. Rassismus, so die These, ist nicht mehr salonfähig. An seine Stelle ist nicht minder heftiges antiislamisches Ressentiment gerückt.

Die Muslime, meint etwa der britische Islamforscher Hisham A. Hellyer, werden als das Andere Europas fantasiert. Deshalb werde die facettenreiche Geschichte der Muslime in Europa rabiat verdrängt – wahrzunehmen, dass der Islam Teil der eigenen Geschichte sei, würde das scharf getrennte Bild von innen und außen durcheinanderbringen. Europa brauche einen Feind, um die komplizierte Frage zu umschiffen, wer man selbst eigentlich sei. Denn das sei nicht mehr klar, sagt Hellyer. Die europäische Identität stehe auf wankendem Boden. Der ethnisch homogene Nationalstaat sei passé, und auf diese Verunsicherung reagiere Europa mit antimuslimischen Affekten. Außerdem, meinte Hellyer in seinem trockenen, präzisen Vortrag, gingen die konservativen Muslime „den postreligiösen Europäern einfach auf die Nerven“.

Der Kulturanthropologe Werner Schiffauer blies ins selbe Horn. Die antimuslimischen Bewegungen hätten nicht zufällig in dem Moment Zulauf gehabt, als die EU sich erweiterte und die Verfassung scheiterte. Kurzum: Die Muslime seien eine nützliche Projektionsfläche für die begriffsstutzige, verwirrte Mehrheit.

Diese Kritik herrschender Diskurse stammt aus dem Fundus linker und libertärer Theorien. Offenbar ist sie verwendbar, um die Anerkennungswünsche konservativer religiöser Gruppen wie Milli Görüs zu untermauern. Vieles ist dabei durchaus einleuchtend, die Ausgrenzung, die wortreich beklagt wurde, keine Erfindung. Allerdings hat diese Kritik einen blinden Fleck. Es ist eine Rhetorik der Selbstviktimisierung, in der die Muslime nur Opfer sind. Wer aber auf den Marktplatz geht, muss auch riskieren, mal Unerfreuliches über sich zu hören. Doch die Rolle des Kritikers des konservativen Islams war, der Einfachheit halber, in Wuppertal nicht besetzt.

Werner Schiffauer forderte – von der Mehrheitsgesellschaft selbstverständlich – eine reflexive Identität, die das Andere, das ausgegrenzt werden muss, nicht mehr braucht. Das ist, meint Schiffauer, nur durch eine offene Debatte auf Augenhöhe möglich. So ist es. Und umso dringlicher muss man fragen, warum niemand auf dem Podium saß, der Milli Görüs weniger rosafarben sieht. So wurde ein Sieg ohne Gegner gefeiert. Auch Birgit Rommelspacher, die in einem routinierten Vortrag Ausgrenzungsmechanismen gegen Muslime skizzierte, wollte diesen Part nicht spielen. Sie lobte, dass es nun die erste muslimische Ministerin in einem deutschen Kabinett gibt, erwähnte, dass auch Migranten „antideutsche Ressentiments“ hegen – und ließ es dabei bewenden.

Milli Görüs hat etwas von einem Vexierbild. Schiffauer beschreibt die Organisation als offenen Laborversuch, in dem traditioneller Islam und Demokratie fusioniert werden sollen. Seine Helden sind die jüngeren Milli-Görüs-Chefs Mustafa Yeneroglu und Oguz Ücüncü, die ihre traditionelle Klientel vorsichtig mit den Vorzügen des säkularen Rechtsstaats vertraut machen.

Wenn man das Bild jedoch etwas kippt, sieht man eine straffe Kaderorganisation mit ziemlich undurchsichtigen inneren Strukturen, in der aufgeschlossene Zeitgenossen wie Yeneroglu und Ücüncü das trübe Image aufpolieren sollen. Die Basis jubelt islamistischen Idolen wie Necmettin Erbakan zu und bezieht ihre schwarz-weiße Weltanschauung aus dem Fundi-Blatt Milli Gazete.

Wie eng die Grenzen der Selbstkritik bei Milli Görüs gezogen sind, verdeutlichte der spektakulärste Vortrag, der sich mit „Minderheiten in der islamischen Welt“ befasste. Das Thema berührt eine wesentliche Frage: Existiert so etwas wie ein islamischer Universalismus? Denn wer das Minarettverbot in der Schweiz attackiert, muss auch die Rechte nichtmuslimischer Minderheiten in islamisch geprägten Staaten verteidigen. Und zwar nicht leise und verdruckst, wie es Milli Görüs tut, sondern laut und prinzipiell.

Mustafa Macit Kenanoglu, Dozent an der Istanbuler Fatih-Universität, befasste sich mit der Historie des Osmanischen Reichs. Vom Bild des multiethnischen osmanischen Imperiums als Hort aufgeklärter Liberalität, in dem Minderheiten Rechtssicherheit und Schutz genossen, blieb dabei nicht viel übrig. Vielmehr waren Willkür und Gewalt im Osmanischen Reich an der Tagesordnung.

Wenn man das Vexierbild noch weiter kippt und den Milli-Görüs-Blickwinkel wählt, sieht man etwas völlig anderes. In dieser Lesart rechnet Kenanoglu mit den Legenden der Traditionalisten ab, die starrköpfig an dem neoosmanischen Traum festhalten. Kenanoglu korrigiert somit die reaktionäre Verheißung, dass die Rückkehr zu vergangener osmanischer Größe möglich ist, die vor allem Necmettin Erbakan der Milli-Görüs-Klientel vorgaukelt. Offen darf diese Kritik nicht formuliert sein – deswegen wurde der Name Erbakan, der unter einer Art Kritikverbot steht, nicht erwähnt. Der Kampf zwischen Reformern und Traditionalisten bei Milli Görüs wird in fein dosierten Andeutungen ausgetragen. Diese diskursive Ordnung erinnert an Parteitage kommunistischer Parteien, bei dem nur Eingeweihte zu deuten vermochten, wohin der Wind weht.

Wie dünn die Schicht aufgeklärter Offenheit bei Milli Görüs ist, verdeutlichte eine Randbemerkung der Moderatorin Ümut Metic. Die Juden hätten hierzulande, „obwohl sie eine kleine Minderheit sind, viel Macht“. Der antisemitische Unterton schien niemand aufzufallen, geschweige denn zu stören. Nur Y. Michal Bodemann, Soziologe aus Toronto, widersprach in freundlichem Ton. Die jüdische Gemeinde sei keineswegs mächtig. Sie war, so Bodemann, im Gegenteil seit 1945 vor allem eine Funktion der deutschen Mehrheitsgesellschaft und ein Instrument hiesiger Außenpolitik.

Am Ende empfahl die New Yorker Professorin Pamela Irving Jackson den deutschen Traditionsmuslimen, sich an den Mormonen in den USA ein Beispiel zu nehmen. Die Mormonen, so Jackson, die von der Mehrheit in den USA mit äußerster Skepsis betrachtet werden, sind diszipliniert, gut ausgebildet und wirtschaftlich erfolgreich. Und wer Erfolg hat, wird eher akzeptiert.

Das klang ziemlich hemdsärmlig. Aber angesichts der großkalibrigen Machtkritik und des volltönenden Opferdiskurses hatte dieser flapsige Hinweis etwas Öffnendes. Der Debatte um Identität bei Milli Görüs würde leichteres weltanschauliches Gepäck gut tun.