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Archiv-Artikel

Von Avocado bis Zucker

Entlang des Essens von den Widersprüchen der Globalisierung erzählen: Erwin Wagenhofers „We Feed the World – Essen global“ ist ein Dokumentarfilm über die Produktion von Nahrungsmitteln

Der Film macht Zusammenhänge sichtbar, um die viele Menschen wissen, die in ihrer Praxis (beim Konsum also) keine Rolle spielen

VON BERT REBHANDL

Der Schweizer Globalisisierungskritiker Jean Ziegler ist um starke Worte nicht verlegen: „Die Weltwirtschaft könnte ohne Probleme 12 Milliarden Menschen ernähren. Das heißt, ein Kind, das heute an Hunger stirbt, wird ermordet.“ Wer aber ist der Mörder? Die Weltwirtschaft? Die Welt ist kein Subjekt, sondern eine Totalität, von der sich Filmemacher und Künstler mit unterschiedlichen Mitteln ein Bild machen. Erwin Wagenhofer ist ein österreichischer Dokumentarfilmer. Sein Ausgangspunkt ist das Essen. „We Feed the World“ handelt von Nahrungsmitteln als Produkten, von Essern als Konsumenten und von der Unvernunft der Rationalisierung in Anbau und Aufzucht.

Das Essen ist ein Königsweg, um die Globalisierung zu verstehen. Gegessen wird überall, auch dort, wo nicht angebaut und geerntet wird. Mit der Zunahme der Distanzen zwischen Produktion und Konsum sind die Speisepläne überall interessanter geworden. Zucker, Kartoffeln, Zimt, Avocados, Großgarnelen wurden irgendwann eingeführt und haben das Leben der Menschen mehr oder weniger stark verändert.

Wagenhofer hat unter den vielen Zusammenhängen einige ausgewählt, auf die er näher eingeht. Er beginnt mit einem typischen Provokationsbild: Täglich fallen in einer Stadt wie Wien riesige Berge alten Brots an, das eigentlich noch essbar wäre, aber für den Handel nicht mehr frisch genug ist. Für eine Moral der Nachhaltigkeit ist das ein Skandal, für die industrialisierte Bäckerzunft einfach Ausdruck der Effizienz. Wagenhofer schlägt sich nicht ausdrücklich auf die Seite der Moral, aber er unterlässt es auch, die Kriterien der Effizienz tatsächlich ökonomisch zu untersuchen. „We Feed the World“ bleibt deswegen ambivalent in seiner Strategie: Geht es hier in erster Linie um einen Aufweis der Absurdität unserer täglichen Lebensgrundlagen, oder geht es darum, den destruktiven Charakter des Wirtschaftslebens freizulegen?

Es gibt mit „Darwins Alptraum“ von Hubert Sauper einen vergleichbaren Film aus Österreich, der ebenfalls die Kontinente umspannenden Handelszusammenhänge in einer lokalen Extremsituation wiederzufinden suchte und dabei das Pittoreske dem Analytischen vorzog. „We Feed the World“ deutet schon im Titel an, dass es um eine Art Verschwörung gehen muss. Denn wer kann dieses „Wir“ allenfalls sein, das die ganze Welt mit Nahrung versorgen will? Es kann sich nur um globale Konzerne handeln.

Erwin Wagenhofer hat in Frankreich, Spanien, Rumänien, Brasilien und Österreich gedreht. Es geht dabei um so unterschiedliche Produkte wie Hühner und Soja, Fische und Auberginen. In Frankreich fuhr Wagenhofer mit einem kleinen Kutter auf das Meer hinaus und war dabei, wie Fische von herausragender Qualität an Land gebracht wurden. Die industrialisierten Fangflotten räumen inzwischen die Meere leer. Was sie nach Wochen auf See auf die Großmärkte bringen, ist nicht mehr frisch, dafür aber billiger als die lokale Ware. Ähnlich verhält es sich mit den Auberginen in Rumänien. Dort werden zweierlei Sorten angepflanzt. Die einen enthalten selbst die Samen für die nächste Aussaat. Sie sehen alle ein wenig unterschiedlich aus, und so schmecken sie auch. Die anderen Auberginen stammen aus dem Saatgut des zuständigen Multis Pioneer. Sie sehen einheitlich aus, schmecken so und enthalten keine Samen, aus denen wieder etwas wachsen würde. Die Pointe ist, dass Wagenhofer einen Protagonisten gefunden hat, der die eine (kleinbäuerliche) Produktionsweise persönlich schätzt, beruflich aber an der Durchsetzung des Pioneer-Regimes arbeitet.

Man könnte es als eine Qualität von „We Feed the World“ sehen, dass Wagenhofer diesen Widerspruch einfach so stehen lässt. Man könnte es aber auch als Defizit des Films sehen, dass er ständig nach analogen Widersprüchen sucht, ohne deren Kontext näher untersuchen zu können. Besonders deutlich wird dies in Brasilien, einem Land, das in den WTO-Verhandlungen inzwischen zu einer Großmacht aufgestiegen ist. Die Soja, die dort angebaut wird, beansprucht weite Landstriche, für die zum Teil Urwald gerodet wird. Zugleich bleiben den Armen vor Ort nur zunehmende Trockenheit und Hunger. Diese Tatsachen haben gleichwohl ein doppeltes Gesicht. Denn was vor Ort eine anschauliche Dramatik bewirkt, ergibt vor dem Horizont einer sich globalisierenden Welt und deren Ungleichzeitigkeiten eine Fortschrittsgeschichte, auf die nur ein europäischer Blick schon zurückschauen kann.

Hier erweist sich endgültig, dass Erwin Wagenhofers Methode der selbstevidenten Bilder nicht funktioniert. „We Feed the World“ steht in der Tradition des agitatorischen Kinos, weil er Zusammenhänge sichtbar macht, um die viele Menschen unausdrücklich wissen, die in ihrer Praxis (beim Konsumieren also) keine Rolle spielen. Den Schritt zum politischen Film aber macht Wagenhofer nicht. In einer politischen Sichtweise müsste es erst um jene Vermittlung zwischen Angebot und Nachfrage gehen, die sein Kronzeuge Jean Ziegler auf globaler Ebene so locker mit einer Zahl benennt. Zwischen dem „tödlichen“ Konzern und dem „ermordeten“ Kind geht viel mehr schief, als dass täglich Tonnen von Brot weggeworfen werden.

„We Feed the World“ liefert visuelle Beweise für zahlreiche Fehlentwicklungen in der modernen Landwirtschaft – intensive Düngung, einseitige Bodenbewirtschaftung, lange Transportwege, Eliminierung von Jahreszeiten und Fruchtfolgen, Sterilität. Weil er so viel behandeln will, kann Wagenhofer davon immer nur wenig zeigen. „We Feed the World“ handelt vom Essen, blickt aber über den Tellerrand nicht hinaus.

„We Feed the World – Essen global“. Dokumentarfilm. Regie: Erwin Wagenhofer. Österreich 2005, 96 Min.