: Elend und Natürlichkeit
FOTOGRAFIE Eine Ausstellung in Wien erinnert an das Werk der britischen Fotografin Edith Tudor-Hart, geborene Edith Suschitzky, Wiener Jüdin mit kommunistischem Hintergrund
VON RALF LEONHARD
Der Fotoexperte Duncan Forbes hatte ein unbestimmtes Gefühl, dass etwas nicht stimme mit den Fotos von Edith Tudor-Hart. Die Bilder, die er in den Archiven der National Galleries of Scotland vorfand, hatten für ihn etwas Unenglisches. Als er der Biografie der 1975 verstorbenen Künstlerin nachging, entdeckte er die jüdische Kommunistin Edith Suschitzky aus Wien. Aus Suschitzky war durch die Heirat eine Tudor-Hart geworden.
Es war vor allem ihr sehr politischer Blickwinkel, der Tudor-Harts Aufnahmen vom Elend des Proletariats von zeitgenössischen englischen Fotografien unterschied. Forbes, der seit Juni das Fotomuseum Winterthur leitet, fand in London den inzwischen 101-jährigen Wolfgang Suschitzky, der 2004 den fotografischen Nachlass seiner Schwester der Schottischen Nationalgalerie überantwortet hatte. Das Ergebnis dieser Zusammenarbeit ist eine Ausstellung, die in Edinburgh ihren Ausgang nahm und jetzt bis Mitte Januar im Wien Museum zu sehen ist.
Die 1908 geborene Edith Suschitzky war nicht nur Kommunistin im Herzen: Sie exponierte sich auch als Kurier der KP und ließ sich vom sowjetischen Geheimdienst anwerben. Wann und wie sie zur Fotografie fand, ist unbekannt. Nach einer Schulung am Bauhaus in Dessau begann sie jedenfalls in Wien soziales Elend und die Proteste dagegen zu fotografieren.
Während im legendären roten Wien Sozialbauten hochgezogen wurden, die die Arbeiterfamilien aus ihren elenden Wohnverhältnissen erlösten, lebten immer noch Menschen in Ruinen und selbst gebastelten Hütten, wie wir sie heute nur aus den Slums afrikanischer oder lateinamerikanischer Städte kennen. Gezielt stellt die Fotografin solche Szenen den eleganten Damen im Kaffeehaus gegenüber.
Für sozialdemokratische Zeitschriften wie den Kuckuck dokumentierte sie aber auch Badende an der Alten Donau oder Wintersportszenen. Den Modeaufnahmen, die sie während einer kurzen Tätigkeit für ein Fotostudio gemacht haben dürfte, sieht man an, dass Edith Suschitzky nicht am oberflächlichen Glanz interessiert war. Gut leben konnte sie von ihrer Arbeit nie.
Mit Beginn des Austrofaschismus im Jahre 1933 wurde die Luft für Oppositionelle schnell sehr dünn. Am 1. Mai hatte die junge Fotografin noch die Repression gegen den Aufmarsch festgehalten. Wenige Tage später heftete sich die Staatspolizei an ihre Fersen und nahm sie nach der Übergabe von Dokumenten an kommunistische Kontaktleute fest.
Große Teile ihres Fotoarchivs, die zunächst beschlagnahmt wurden, gingen später durch ein Hochwasser verloren. Der autoritäre Ständestaat dürfte der Aktivistin statt einer Gefängnisstrafe die Ausreise angeboten haben. Edith Suschitzky heiratete ihren englischen Verlobten Alexander Tudor-Hart und folgte ihm nach London. In Wales, wo er die Kinder von Bergleuten aus den Kohleminen gratis behandelte, entstanden Bilder, die das triste Dasein, aber auch die Würde der Grubenarbeiter dokumentierten.
Als englische Staatsbürgerin kraft Heirat entging Edith Tudor-Hart der Internierung während des Krieges. Aber als kommunistische Aktivistin stand sie unter ständiger Beobachtung. Wohl deswegen wandte sie sich nach dem Krieg der Kinderfotografie zu und arbeitete eng mit der Kinderwohlfahrt zusammen. Schon in Wien hatte sie sich für die Montessori-Schule begeistert und die pädagogischen Experimente fotografisch begleitet. Über Anna Freud und den österreichischen Heilpädagogen Karl König bekam sie auch Einblick in die Kinder-Psychoanalyse.
Was ihre Fotos auszeichnet, ist große Dynamik und Natürlichkeit. Edith Tudor-Hart beschreibt, wie sie auf die Kinder zuging und langsam ihr Vertrauen gewann, damit sie sich bei Tanz oder Spiel ungezwungen bewegten.
Anfang der 1950er Jahre endet das fotografische Schaffen der inzwischen geschiedenen Frau. Vermutlich hängt das damit zusammen, dass 1951 der Sowjetspion Kim Philby enttarnt wurde und auch Edith Tudor-Hart einem langen Verhör unterzogen wurde. Ausstellungskurator Duncan Forbes meint, als Agentin sei sie nur ein kleiner Fisch gewesen. Trotzdem dürften ihr die Behörden nahegelegt haben, ihre Arbeit einzustellen. Eine eigene große Ausstellung hatte sie zeit ihres Lebens nicht.
„Es ist traurig“, sagte Bruder Wolfgang Suschitzky anlässlich der Eröffnung in Wien, „dass sie das nicht mehr erlebt hat.“
■ Edith Tudor-Hart. Im Schatten der Diktaturen. Wien Museum, Wien. Bis 12. 1. 2014