: Ärzte fürchten Gleichmacherei
EINMISCHUNG In einem offenen Brief bitten Klinikärzte, gegen die Schulreform zu stimmen. Diese schrecke Ärzte mit Kindern davon ab, in Hamburg zu arbeiten, sagen die Mediziner
VON UTA GENSICHEN
Rund 50 Hamburger Klinikärzte haben einen offenen Brief gegen die geplante Schulreform verfasst. Diese wird von den Medizinern als „Standortnachteil für die Gesundheitsmetropole Hamburg“ bezeichnet. „Stimmen Sie deshalb gegen die geplante Schulreform“, lautet die schriftliche Aufforderung an die Patienten.
So befürchten die Unterzeichner unter anderem, dass angehende Fachärzte und Professoren mit Kindern wegen der sechsjährigen Primarschule um Hamburg einen Bogen machen werden. „Wir haben hier eine Spitzenmedizin. Deswegen ist es wichtig, dass wir die Kliniken mit guten Leuten besetzen“, sagt Torsten Hemker von der Facharztklinik Hamburg.
Besonders Ärzte wünschten sich demnach für ihre Kinder eine frühe altsprachliche Ausbildung, sagt Hemker. Das sei jedoch durch das längere gemeinsame Lernen bald nicht mehr möglich. Dem Orthopäden zufolge sei es wichtig, schwächere Schüler besonders zu fördern. „Aber Stärkere sollen sich dabei nicht langweilen.“
Den offenen Brief haben vor allem Chefärzte und leitende Ärzte verschiedener Fachrichtungen unterschrieben. Die Hamburger Ärztekammer hält sich dagegen noch bedeckt. „Wir haben keine offizielle Meinung dazu“, sagt eine Sprecherin der Kammer. Wenn solche Protestbriefe von Ärzten auch selten seien – die Unterzeichner verstießen mit ihrem Aufruf nicht gegen die Berufsordnung, sagt die Sprecherin.
Der Altonaer CDU-Bundestagsabgeordnete Marcus Weinberg kritisiert hingegen den Vorstoß der Mediziner. Die Klinikärzte würden das Vertrauensverhältnis zu den Patienten benutzen, um ihre persönlichen politischen Vorstellungen voranzutreiben. „Was“, fragt Weinberg, „würden diese dazu sagen, wenn ihr Steuerberater oder Briefträger ihnen eine Aufforderung zur Zustimmung zur Schulreform zusenden würde?“
Den Vorwurf, dass er und seine Kollegen den besonderen Respekt der Patienten vor dem Berufsstand Arzt missbrauchen würden, weist Torsten Hemker jedoch zurück. „Der Bürgermeister genießt ja auch einen besonderen Respekt“, sagt er. Und der dürfe ja schließlich auch sagen, was er von der Schulreform hält. Der Brief solle lediglich zeigen, dass es neben der bereits bekannten Kritik von Schulreformgegnern noch weitere Aspekte gebe.
Mit dem offenen Brief der Ärzte geht die Kritik an der Schulreform kurz vor Beginn des Volksentscheids in eine weitere Runde. Erst vor zwei Wochen haben 49 Schulleiter von Hamburger Gymnasien in einer gemeinsamen Stellungnahme vor einem Reformchaos gewarnt. Mit neuer Stundentafel, neuen Bildungsplänen, neuer Beurteilungskultur, Schulorganisation und Stundentaktung würden gegenwärtig „alle Systeme, Strukturen und Kulturen erfasst und verändert“, heißt es dem Papier. Dadurch sei die Reform „extrem gefährdet“.
Anders als die Klinikärzte stellen die Rektoren in ihrem Brief aber nicht die Schulreform an sich infrage, sondern kritisieren ihre Durchführung.