DIE HEUSCHRECKEN ZEIGEN ES AN: DER AUFSCHWUNG KOMMT : Nachhaltigkeit ist Glaubenssache
Die Wirtschaftsweisen bekommen Frühlingsgefühle. Sie korrigieren die Wachstumsprognose nach oben, die Konjunkturindikatoren steigen, die Arbeitslosenzahlen fallen – nur wenig zwar, aber immerhin stimmt die Richtung. Also frisch voran mit Wirtschaftswunderkanzlerin Merkel?
Das Wachstum geht tatsächlich zu einem Teil auf das Merkel-Konto: Ihre Ankündigung, die Mehrwertsteuererhöhung für 2007 zu erhöhen, stärkt den Konsum 2006, weil den Deutschen noch lieber zum Steuersparen als zum Angstsparen neigen. Für das kommende Jahr hingegen beruhen die Prognosen meist auf dem Münchhausen-Effekt: In guter Stimmung finden wir wieder Gefallen am Konsumieren, weswegen mehr investiert wird, dann noch mehr konsumiert, und schließlich entsteht ein nachhaltiges, sich selbst tragendes Wirtschaftswachstum. Während die Naturgesetze es nicht zulassen, dass man sich am eigenen Zopf aus dem Sumpf ziehen kann, erlauben die ökonomischen Gesetze solche Phänomene durchaus: Das Wirtschaftswachstum in den USA beispielsweise ist schon seit Jahren nur noch mit dem Münchhausen-Effekt zu erklären: Konsum bis zum Abwinken und Verschuldung bis Oberkante Unterlippe.
Für die Deutschen ist das undenkbar. Wir sind kein Heuschrecken-, sondern ein Ameisenstaat. Dennoch könnten wir auf direktem Weg in die beste aller Welten für Ameisenstaaten sein, auch weil wir von den nachhaltig hohen Energiepreisen – Trittin sei Dank – so profitieren wie kein anderer Industriestaat. Sogar weltkapitalistische Verschwörungstheoretiker müssten derzeit auf Deutschland setzen. Denn die Heuschrecken-Fonds, die seit zwei Jahren deutsche Firmen und Wohnungen kaufen, wollen nach drei bis sieben Jahren Kasse machen. Also sind sie an einer rosigen Binnenkonjunktur zwischen 2007 und 2013 interessiert.
Jetzt müssen bloß noch die deutschen Unternehmer daran glauben, dass sich das Land tatsächlich auf die beste aller Welten zubewegt. Nur dann stellen sie genügend Leute ein, dass sogar uns Ameisen der Münchhausen-Effekt gelingen kann.
DETLEF GÜRTLER