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Archiv-Artikel

„Wichtig ist das Biss-Verhalten“

Auch absurde Varianten können zum Trend werden: Schoko-Shop-Betreiber Oliver Rohlf erklärt, was eine Geschmacksreise ist und wie der Nachhall klingt

Rauch, Malz und Whisky: Die Schokolade zum gepflegten Jazz

Interview Petra Schellen

taz: Herr Rohlf, Sie verkaufen erlesene Schokolade zu erlesenen Preisen. Wieso ist die so viel teurer als im Supermarkt?

Oliver Rohlf: Das hängt damit zusammen, dass die Supermärkte industrielle Massenware verkaufen, die mit etlichen schokoladenfremden Bestandteilen versetzt ist. Da werden zum Beispiel Aromastoffe anstelle der teuren echten Kakaobutter verwendet, Vanillin statt Vanille…

Abgesehen vom teils eklatanten Qualitätsgefälle: Woran machen Sie – auch innerhalb der edlen Schokoladen – die Unterschiede fest?

Hierfür gibt es eine spezielle Schoko-Verkostung, bei der eine Liste klarer Kriterien abzuarbeiten ist. Da ist zum Beispiel die Textur – das Geräusch, das entsteht, wenn man in die Schokolade beißt. Wichtig ist auch ihr Verhalten nach dem Biss: Knackt, bröselt oder splittert es gar?

Wovon hängt das ab?

Splitterung deutet darauf hin, dass das Conchieren nicht ganz zu Ende gebracht wurde. Beim Conchieren wird die Schokolade in einen Kessel gegossen und unter Zufuhr von Hitze bis zu 72 Stunden lang geknetet und gewälzt.

Worauf zielt dieser Vorgang?

Auf die Bearbeitung der Kakaobutter. Sie schmilzt bei genau 37 Grad Celsius im Mund. Um diese Schmelztemperatur zu erreichen, braucht man 72 Stunden.

Weitere Kriterien?

Da wäre einmal das Schmelzverhalten – das Tempo also, in dem die Schokolade schmilzt. Wichtig ist auch der Geschmacksverlauf: Ändert sich die Geschmacks-Assoziation, die man beim ersten Biss hatte? Womit wir beim letzten Kriterium wären – dem Finish. Finish – oder Nachhall – steht für die Zeitspanne, während derer man den Geschmack der Schokolade noch im Mund hat. Auch hier spielt Zeit eine Rolle – nach dem Motto: Je länger, desto besser. Denn was wäre das für ein Schokoladengenuss, wenn man sofort danach vergäße, was passiert ist?

Kommen wir noch mal auf den Geschmacksverlauf…

Auch er hat eine zeitliche Komponente. Verdeutlichen mag dies die Chili-Schokolade: Deren Peffer-Anteil spürt man zunächst gar nicht. Aber wenn der Schokogeschmack geht und man denkt, alles sei vorbei – dann kommt der Chili! Rosa Pfeffer verhält sich ganz anders. Der kommt sofort. Ich bezeichne das gern als Genussreise – wobei es durchaus Überraschungen geben kann. Ein kleiner Krimi gewissermaßen.

Überraschend sind ja auch einige Kombinationen: Etwa Sellerie- und Stutenmilch-Schokolade. Wie absurd muss eine Geschmacksrichtung sein, damit sie keiner mehr kauft?

Das ist schwer zu sagen. Die Chili-Schokolade etwa ist erst durch den Film „Chocolat“ mit Juliette Binoche salonfähig geworden. Vorher war sie den europäischen Kunden zu scharf. Aber dieser Film hat einen Trend erschaffen. Und in den letzten Jahren lag Salz im Trend – auch in Kombination mit Schokolade.

Eigentlich denkt man ja, Schokolade sei nur mit Zucker kombinierbar. Ein Naturgesetz sozusagen, das ein paar Schoko-Händler auf eigenes Risiko zu unterlaufen versuchen…

Ein europäischer Irrtum. Denn die in Mexiko ansässigen Olmeken, die um 1000 v. Chr. die Schokolade ,erfanden‘, haben die Kakaobohne mit Chili, Thymian und Basilikum versetzt. Daraus wurde ein Gebräu hergestellt, das die Menschen während einer religiösen Zeremonie tranken. Dieser Mixtur – auch Speise der Götter genannt – schrieb man eine reinigende Wirkung zu. In Kombination mit Hitze und hoher Luftfeuchtigkeit muss der Chili in der Tat eine starke Wirkung gehabt haben. Als Hernando Cortez die Kakaobohne im 16. Jahrhundert nach Europa brachte, fanden die Adligen die neue ,Trinkschokolade‘ zu scharf und begannen sie mit Zucker zu versetzen. Damit begann der Triumphzug des Zuckers.

Welches sind die aktuellen Favoriten?

Curry- und Salz-Kombinationen. Ich persönlich schwärme auch sehr für hochprozentige Vollmilchschokolade. Die schmeckt so wunderbar cremig.

Apropos Schwärmen: Kommen auch Schokoladensüchtige in Ihren Laden? Und wie schlimm krank sind die?

Richtig süchtig sind die nicht, aber es gibt schon Leute, die immer wieder nach derselben Sorte fragen. Und ein bisschen ungehalten werden sie schon, wenn wir die mal nicht da haben.

Welches sind eigentlich die edelsten Bohnen der Welt?

Das ist die Criollo-Bohne. Sie wächst in Venezuela, auf Madagaskar, in Sri Lanka und Indonesien. Zwei bis drei Prozent der Kakaobohnen weltweit sind Criollo-Bohnen. Sehr rar – und daran kann man auch nichts ändern. Denn diese Bohne wächst zwischen anderen Gewächsen, lässt sich nicht als Monokultur anbauen und reagiert extrem empfindlich auf Temperatur und Luftfeuchtigkeit.

Und das Gegenstück?

Die Forastero-Bohne. Das ist eine Konsumbohne, die an der Elfenbeinküste, in Trinidad und im Niger wächst. Diese Sorte macht 80 bis 90 Prozent der weltweiten Kakaobohnen-Produktion aus. Sie ist robust, aber nicht so aromatisch.

Wenn man über Aromen für bestimmte Klientel nachdenkt – welche Sorte würde Sie für die Punk-Szene, der Sie als Musik-Kritiker verbunden waren, anbieten?

Da könnte ich mir eine scharfe Chili-Schokolade vorstellen. Das würde deren Mentalität wohl am besten treffen.

Andere denkbare Schoko-Sorten zur Musik?

Vielleicht könnte man eine Jazz-Schokolade erfinden. Die wäre rauchig-malzig und könnte zum Whisky genossen werden…

passend zum Klischee vom 55-jährigen Jazz-Hörer.

Schon. Aber dabei muss man ja nicht stehen bleiben. Man kann immer wieder neue Wege beschreiten. Ein neues Geschäftsfeld ist zum Beispiel die Erstellung von Logo-Schokolade für Firmen. Vorteil für uns: Die bestellen in sehr hohen Auflagen.

Schokovida, Hegestraße 33, HH-Eppendorf, www.schokovida.de