: Sensationelle Schädelfunde
ARCHÄOLOGIE In Georgien werden die ältesten menschlichen Knochen gefunden. Sie stellen die Theorie vom vielfältigen Stammbaum des Menschen infrage. Vielleicht bleibt nur der Homo erectus übrig
BERLIN taz | Seit dem Jahr 2005 haben georgische und Schweizer Archäologen einen Fund vermessen, wie es ihn nur alle paar Jahrzehnte einmal gibt. Jetzt sind sie sich sicher: Es handelt sich um die ältesten und vollständigsten jemals ausgegrabenen Schädel der fast menschlichen Gattung Homo. Und sie stellen die bisherige Theorie von der Entwicklung des Menschen infrage. Das geht aus einem am Freitag veröffentlichten Bericht des Wissenschaftsmagazin Science hervor.
Der Fundort ist die Stadt Dmanisi im südlichen Georgien. Fünf Schädel mit großen Zähnen und relativ kleinem Hirn, dazu Werkzeuge sowie Knochen längst ausgestorbener Tiere. Offensichtlich handelt es sich um eine Höhle, in die im Laufe von Jahrhunderten Raubtiere immer wieder ihre Opfer schleppten, um sie dort zu fressen. Irgendwann wurde bei einem Erdsturz alles begraben und so konserviert.
Das Alter der Knochen wurde auf 1,8 Millionen Jahre bestimmt. Nach bisherigen Erkenntnissen hat damals die Gattung Homo aus der Familie der Menschenaffen zum ersten Mal ihren Stammkontinent Afrika verlassen. Riesenhirsche und Säbelzahntiger streiften umher. Aus diesem Zeitalter gab es bisher nur Bruchstücke von Schädeln, nur in afrikanischen Fundstellen aus sehr verschiedenen Zeiten. Nun gleich mehrere vollständige an einem Ort im Kaukasus.
Was den Archäologen zu denken gibt: Die georgischen Schädel sind sehr unterschiedlich. Das stellt die bisherige Aufteilung der Gattung Homo im Baum der Evolution infrage. Denn die bisher als eigene Arten eingestuften Homo rudolfensis, habilis und erectus weisen untereinander weniger Unterschiede auf. Nun ist die Diskussion eröffnet: Hat der Mensch weniger Vorfahren als gedacht, gab es gar keine Artenvielfalt beim Homo, sondern nur eine Vielfalt der Art? REINER METZGER