BERNHARD GESSLER STETHOSKOP : Landarzt ohne Idylle
Junge Ärzte wollen nicht nach Hintertupfingen. Auch nicht, wenn ihnen der Gesundheitsminister dafür einen garantierten Mindestumsatz verspricht. Was ihnen dort fehlt ist nicht Geld, sondern sind Kitas, Bioläden und ihre Freunde
Die Äußerung aus dem Munde des älteren Kollegen nährt Zweifel. „Früher kam es vor, dass Patienten am Sonntag über unsere Terrasse ins Wohnzimmer kamen, um sich behandeln zu lassen!“, sagt er. Ob die Übernahme einer Praxis im schönen Hintertupfingen eine gute Idee wäre – selbst wenn man sie für umme bekäme?
Sicher auch als Ablenkungsmanöver von seinen Plänen zur katastrophalen Kopfpauschale jazzt der smarte Kollege und Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler das Thema Landarzt medial hoch. Zu Recht, auf dem platten Land sind schon jetzt Ärzte rar. Aber reicht es, finanzielle Starthilfen, garantierten Mindestumsatz und andere Bonbons zu versprechen, damit in der alten Dorfschule Praxisräume entstehen? Was geht in den Köpfen der Medizinstudierenden und jungen Ärzte vor?
Der durchschnittliche Medizinstudent beginnt sein Studium meist mit einer idealistischen Einstellung: der Einsatz für kranke Menschen, zu jeder Tages- und Nachtzeit, unter widrigen, heroischen Umständen, vielleicht als weiser, geachteter Landarzt, vielleicht als ärztlicher Entwicklungshelfer. Und dann beginnt die déformation professionnelle: Er lernt schon als Famulant die bürokratische Ödnis und groteske Hierarchie der deutschen Krankenhäuser kennen. Im praktischen Jahr wird er allenfalls als Blutabnahmelakai geschätzt. Als Assistenzarzt legt er mit guten theoretischen, aber geringen praktischen Kenntnissen bei maximaler Verantwortung 24- bis 36-Stunden-Schichten hin. Am Folgetag kann er sich dann auf den öffentlichen Tadel für seine nächtliche Leistung freuen.
In seiner Freizeit genießt er freilich die Buntheit, Kultur und Infrastruktur seiner Unistadt, der Freundeskreis wächst. Wahrscheinlich lebt er mit einer Ärztin zusammen, auch sie hat einen Job in der Stadt. Die Jahre rauschen dahin, sie bekommen Kinder. Bioläden und Kitas sind vorhanden. Und ehe er sichs versieht, ist er Facharzt. Zieht er jetzt noch nach Mittelschönmatten? Keine hippen Freunde mehr, 13-Stunden-Arbeitstag, werktags offene Handyleitung für seine PatientInnen, Präsenzdienstpflicht an 14 Wochenenden im Jahr, nächste chirurgische Ambulanz vierzig Minuten entfernt, keine Kita im Dorf, nächstes Gymnasium nur mit dem Auto zu erreichen, nächstes Kino eine Stunde entfernt, nächste Oper zwei Stunden Interregio-Fahrt.
Einfache und schnelle Lösungen für das Landarztproblem sehe ich nicht. Aber das Medizinstudium studierendenfreundlicher zu machen, die Ausbeutung junger Assistenzärzte zur Kenntnis zu nehmen und das Leben auf dem Land für junge Arztfamilien attraktiver zu machen – das wäre ein besseres Landarztprogramm.
■ Der Autor ist Internist in Karlsruhe Foto: privat