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: Verführen, verzagen – Rohmers „Liebe am Nachmittag“

Rohmer treibt das moralische Dilemma auf den Moment der Entscheidung zu. Die Schauspielerin Chloe wechselt dazu Kleider wie Stimmungen

Ziemlich säuberlich teilt sich die Welt in Verehrer und Verächter der Kunst von Eric Rohmer. Letztere sehen in seinen Filmen viel Gerede um nichts. Viel zitiert ist Gene Hackmans Satz in Arthur Penns nicht weiter berühmtem Film „Night Moves“: „Ich habe einmal einen Rohmer-Film gesehen; es war, als schaute man Farbe beim Trocknen zu.“ Es ist vielleicht so viel daran wahr, dass Rohmer ein Meister der Oberfläche ist, ein präziser Beobachter von Oberflächlichkeiten.

Rohmers Geschichten und Figurenkonstellationen haben freilich mit Wandfarbe nichts zu tun, sondern besitzen die Frische und Leichtigkeit der Skizzen und Gemälde des galanten und frivolen Rokoko-Künstlers Jean-Honoré Fragonard. Es ist kein Zufall, dass Rohmer den Titel seines ersten Filmzyklus' „Sechs moralische Geschichten“, dessen letzter Teil der Film „Die Liebe am Nachtmittag“ ist, den „Contes moraux“ von Fragonards Zeitgenossen Jean-Francois Marmontel entlehnte. Es geht in Rohmers Zyklus allerdings nicht um moralische Belehrung, sondern um moralische Dilemmata.

Als Liebhaber des 18. Jahrhunderts, auch als Verehrer Balzacs ist Rohmer kein Verehrer der strengen Moderne, ja, in vielen Zügen entschieden vor- bzw. konterrevolutionär. Man hat ihm das übel genommen, das Festival von Cannes wies seinen revolutionskritischen Film „Die Lady und der Herzog“ (2001) empört zurück, obwohl der darin geübte experimentelle Umgang mit digital erzeugten, gemäldeartigen Hintergründen seinesgleichen nicht kennt. In Rohmers jüngstem, übrigens großartigem „Spionage“-Film „Triple Agent“ (2003), bei uns leider nur als Import-DVD zu haben, hängen die Bilder der Moderne im Wohnzimmer der Stalinisten.

Rohmers Kunst des Dialogs ist eine der Konversation und nicht des Tiefsinns, mehr Rhetorik als Philosophie. Dabei aber auch von genialer Einfachheit im Entwurf der Szenarien, man nehme nur die so simple wie intrikate Konstellation von „Die Liebe am Nachmittag“ aus dem Jahr 1972: Frédéric (Bernard Verley) liebt seine Frau Hélène (Francoise Verley) und fühlt sich doch von der urplötzlich auftauchenden, irrlichternden Chloe (Zouzou) angezogen. Rohmer treibt das Dilemma auf einen Moment der Entscheidung zu, verleiht dem Ganzen dadurch beträchtliche Spannung und bleibt dabei doch immer der zurückhaltende Beobachter der sich entfaltenden Comédie humaine.

Von Rohmers Übermut und Lust am Experiment zeugt ein absurd-komisches, Science-Fiction-artiges Vorspiel, in dem eine Weile der Fantasie Raum gegeben wird, Frédéric besitze einen Talisman, mit dem er den Willen der stolzesten Frauen brechen kann. Es folgen, durch Schwarzblenden mit Kapitelangaben eingeleitet, die beiden Teile der eigentlichen Geschichte. Umwerfend als Chloe ist Zouzou, Model-Ikone der 60er-Jahre, Schauspielerin in den Underground-Filmen Philippe Garrels vor dem Erfolg mit „Die Liebe am Nachmittag“. Von einer Einstellung zur nächsten wechselt sie die Kleider wie ihre Stimmung. Erst drängt sie sich auf, dann entzieht sie sich, mal ist sie verführerisch und kokett, mal verbiestert und verstockt.

Wie stets im Kontext der „Nouvelle Vague“ ist der Realismus keine Sache der Illusionierung, viel eher der Dokumentation von Gesten und Stimmen, Bewegungen und Tonfällen der Darsteller. Man sieht nicht der Farbe beim Trocknen, sondern den Akteuren beim Sprechen, beim Denken, beim Verführen und Verzagen zu. Die Einstellung selbst bietet dazu den beinahe neutralen Hintergrund. Klar wie stets sind die Bilder des großen Kameramanns Nestor Almendros. Die Mittel sind reduziert auf das Notwendige, was nur heißt: Jede Kamerabewegung, jeder Schnitt, jeder Zoom ist ein einfacher filmischer Gedanke, vom Inhalt nicht zu trennende Form.

Ein besonders hübsches Extra der DVD – allerdings auch das einzig erwähnenswerte – ist der frühe und sehr charmante Kurzfilm „Veronique et son cancre“ („Veronique und ihr Faultier“, 1958), in dem der einstige Gymnasiallehrer Eric Rohmer eine Nachhilfestunde zeigt. Die DVD ist Teil der sehr verdienstvollen Rohmer-Edition bei Arthaus, die gerade in rascher Folge die in Deutschland bislang schwer zugänglichen früheren Filme des Regisseurs erschließt. Bleibt nur zu wünschen, dass endlich jemand „Triple Agent“ herausbringt. EKKEHARD KNÖRER

Die DVD ist für rund 15 Euro im Handel erhältlich