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Archiv-Artikel

LÖSEGELD-SPEKULATIONEN: MINISTER BEDROHEN PRESSEFREIHEIT Neulich, online, irgendwo am Tigris …

Ein paar junge arbeitslose Iraker irgendwo im „sunnitischen Dreieck“, die bislang nicht die Nerven hatten, ins Entführungsbusiness einzusteigen, lesen im Internet die deutsche Tagespresse. Ermutigt durch Berichte, wonach es Lösegeld war, das zur Freilassung der beiden deutschen Geiseln Thomas Nitzschke und Rene Bräunlich geführt hat, beschließen sie, sich auf diese aussichtsreiche Form des Gelderwerbs zu werfen.

So oder ähnlich müsste das Szenario aussehen, wenn der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Gernot Erler, mit seiner Behauptung Recht hätte, Spekulationen über Lösegeldforderungen in der deutschen Öffentlichkeit könnten zu neuen Entführungen im Irak führen. Erler kennt sich gut aus mit der Motivlage. Denn er weiß um den Reiz des Lösegeldes: „Jeder Hinweis in dieser Richtung kann dazu führen, dass es Nachahmungstäter gibt.“

Wie aber sollen die deutschen Medien künftig funktionieren, um Nachahmungstäter im Irak abzuschrecken? Am besten durch eine Berichterstattung, die regelmäßig den Krisenstab des Auswärtigen Amtes bei der Nachtarbeit zeigt, nur unterbrochen von Auftritten des Außenministers, der versichert, man werde alles Menschenmögliche tun, um das Leben der Geiseln zu retten. Vor dieser Inszenierung geballter Entschlusskraft werden künftige Entführer im Irak bestimmt zurückweichen!

Diese ganze Kritik des Außen- wie seines Staatsministers an „Lösegeldspekulationen“ der Medien ist zwar offensichtlich haltlos, aber dennoch nicht ungefährlich. Wird doch hier der Versuch unternommen, die Pressefreiheit mit dem Argument einzuschränken, Medienberichte trügen zu künftigen Entführungen bei, was wiederum die Bundesrepublik wegen deren Schutzpflicht zum Eingreifen verpflichte, was wiederum den Einsatz deutscher Steuergelder nach sich ziehe, was wiederum zu neuen Erpressungen führe. Diese Art von Beweisführung lässt sich leicht auf andere Bereiche übertragen – und schon gelten selbst Hinweise auf Sicherheitslücken bei staatlichen Kontroll- und Überwachungspraktiken als indirekte Unterstützung des Terrorismus. CHRISTIAN SEMLER