: Im Wahlkampf fehlen Labours Minister
Bei den heutigen Kommunalwahlen in England geht es auch um die Zukunft von Regierungschef Tony Blair. Gleich sieben Kabinettsmitglieder sind in diverse Skandälchen und Skandale verwickelt. Parteiinterne Kritiker planen schon einen Putsch
VON RALF SOTSCHECK
Minister der britischen Labour Party sind in diesem Wahlkampf gefragt. Das signalisierten Parteiaktivisten ihren Regierungsmitgliedern. Bei den heutigen Kommunalwahlen in 176 englischen Gemeinden, darunter sämtliche 32 Londoner Bezirke, rechnet die Labour Party mit dem Schlimmsten – nicht etwa wegen ihrer schlechten Kommunalpolitik, sondern wegen der Skandale und Skandälchen, in die immerhin sieben Kabinettsmitglieder verwickelt sind.
Umweltministerin Margaret Beckett, die sich mit den Bauern über die Verteilung von Zuschüssen überworfen hat, und Industrieminister Alan Johnson, der es sich mit den Angestellten im öffentlichen Dienst wegen seiner ungeschickten Rentenverhandlungen verdorben hat, sind die harmloseren Fälle. Schwerwiegender sind die Probleme von Gesundheitsministerin Patricia Hewitt, deren Reformversuche bei den Krankenschwestern auf erbitterten Widerstand stoßen, weil dem Personal zusätzliche Verwaltungsaufgaben aufgebürdet werden sollen.
Bildungsministerin Ruth Kelly stolperte fast über eine Nachlässigkeit, wegen der pädophile Straftäter nach Verbüßen ihrer Haftzeit wieder an Schulen arbeiten durften. Kulturministerin Tessa Jowells entging ihrer Entlassung aus dem Kabinett nur durch Trennung von ihrem Ehemann, der schmuddelige Geschäfte mit Italiens Expremier Silvio Berlusconi gemacht hatte.
Doch zwei seiner engsten Vertrauten kann Premierminister Tony Blair kaum noch schützen. Innenminister Charles Clarke steht unter Beschuss, weil mehr als tausend ausländische Staatsbürger, die zum Teil wegen schwerer Verbrechen verurteilt worden waren, nach Absitzen ihrer Strafe nicht deportiert, sondern freigelassen wurden. Mehrere haben danach erneut Straftaten begangen. In den vergangenen Tagen versuchte die Polizei verzweifelt, die entlassenen Ausländer aufzutreiben, um sie zügig abzuschieben, doch Clarke ist schwer angeschlagen. Blair räumte ein, dass sein Innenminister wohl gehen werde, falls die Zahl der rückfällig gewordenen ausländischen Straftäter nach oben korrigiert werden müsse.
Und dann kam vorige Woche noch der traditionelle Sexskandal hinzu. Ausgerechnet Blairs Stellvertreter John Prescott, der sich über die letzte Tory-Regierung wegen ihrer Affären lustig gemacht hatte, musste zugeben, dass er zwei Jahre lang eine Affäre mit seiner Sekretärin hatte. Die Oppositionsparteien wollen nun wissen, ob dabei Steuergelder verschleudert wurden. Prescotts Chauffeur soll die Sekretärin öfter im Dienstwagen in die Dienstwohnung gebracht haben. Seit das Gerücht aufgekommen ist, dass eine Boulevardzeitung 250.000 Pfund für die intimen Tagebücher der Sekretärin gezahlt habe, stehen Frauen Schlange, die angeblich ebenfalls Affären mit Prescott hatten.
Blair scheint sein Kabinett aus den Händen zu gleiten. Er selbst steht unter Druck, seit herausgekommen ist, dass reiche Geschäftsleute, die Labour finanziell unterstützt haben, mit einem Sitz im Oberhaus belohnt werden sollten.
„Wir haben unsere moralische Autorität verspielt“, sagte ein unbelasteter Minister. „Die Leute denken, wir missbrauchen unsere Macht. Es hat gar keinen Sinn, unsere Pluspunkte aufzulisten. Das macht sie nur noch wütender. Sie beschuldigen uns der Arroganz und Korruption, und man kann dazu nur schweigen.“ Bei Meinungsumfragen steht Labour so schlecht da wie seit 1987 nicht mehr. Viele Menschen werden heute gar nicht wählen, vor allem zahlreiche Labour-Wähler werden wohl zu Hause bleiben.
Im schlimmsten Fall verliert Labour 10 der 15 Londoner Bezirke. Falls insgesamt mehr als 200 Labour-Gemeinderäte auf der Strecke bleiben, wird es eng für Blair. Morgen treffen sich seine innerparteilichen Gegner, um Putschpläne zu schmieden. Sie glauben, ihre Chancen, den Premierminister noch in diesem Jahr zum Rücktritt zu bewegen, seien in den letzten Tagen auf 60:40 gestiegen. Blair sagte, er habe das Datum für die Amtsübergabe an Schatzkanzler Gordon Brown bereits festgelegt, aber er will es für sich behalten, damit seine Autorität nicht untergraben wird. Viele Labour-Abgeordnete sind zu der Überzeugung gekommen, dass Blair spätestens auf dem Parteitag im Oktober abtreten soll.
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