USA entdecken Kohlendioxid als Feigenblatt
Die US-Regierung plant ein Kraftwerk ohne CO2-Emission. Neu ist dabei nur die Technologie – und die ist umstritten
WASHINGTON/BERLIN taz ■ Die Bush-Administration hat die Klimapolitik für sich entdeckt: Das Nationale US-Forschungslabor zur Energietechnologie (NETL) kündigte jetzt an, „die Speicherung von CO2 nach einem Best-practice-Plan“ zu erforschen. Vizedirektor Ralph Carabetta sagte, der Plan sei Teil der Vorbereitungen zum so genannten FutureGen – so kündigt das US-Energieministerium sein „Null-Emissions“-Kraftwerk an, das „weltweit das erste“ sein soll. Das Modellkraftwerk wird von einem Industriekonsortium erbaut und soll ab 2012 emissionsfreien Strom mit 275 Megawatt Leistung aus fossilen Brennstoffen erzeugen.
Die begriffsstarke Sprache – „FutureGen“, „Null-Emission“, „weltweit das erste“ – ist allerdings vor allem PR fürs Wahlvolk und nicht wörtlich zu nehmen. Während die Amerikaner nämlich noch Pläne verkünden, baut der schwedische Staatskonzern Vattenvall im brandenburgischen Schwarze Pumpe bereits ein Demo-Kraftwerk. „Die Pilotanlage geht 2008 in Betrieb“, sagt Projektsprecher Damian Müller. Der Essener Konzern RWE scheint noch weiter zu sein: Für 1 Milliarde Euro entsteht derzeit das erste großtechnisch nutzbare Kraftwerk mit Kohlendioxid-Speichertechnik. Und in Norwegen ist die Speichertechnik schon Realität: Die Sleipner-Bohrinsel trennt den größten Teil des Kohlendioxids aus dem geförderten Erdgas und pumpt ihn in eine Sandsteinformation unter dem Meeresboden zurück.
Washington dagegen hat erst im vergangenen Dezember angekündigt, von den beteiligten Firmen 1 Milliarde Euro für sein neues Vorzeigekraftwerk einzusammeln. Das Kraftwerk arbeitet allerdings mit der so genannten IGCC-Technologie – IGCC steht für Integrated gasification combined cycle. Über komplizierte Umwandlungsprozesse und eine neuartige Membran-Technik, die Sauerstoff und Wasserstoff aus den Rauchgasen abscheidet, soll das klimaschädliche CO2 größtenteils vernichtet werden, ohne dass es wie bei anderen Verfahren verpresst werden muss. Ganz ohne Speicherplatz für das restliche CO2 kommt allerdings auch dieses Prinzip nicht aus. „Der Clou ist, dass am Ende des Prozesses Wasserstoff gewonnen und nutzbar gemacht wird“, erklärt Thomas Sarkus, der Direktor des Strategischen Kohlezentrums des NETL. Wasserstoff kann beispielsweise genutzt werden, um Brennstoffzellen anzutreiben.
Um den Standort und Forschungsmittel für das FutureGen haben sich zahlreiche Bundesstaaten beworben. Heute will die US-Regierung bekannt geben, wer den Zuschlag bekommt.
„Die IGCC-Technik ist tatsächlich vielversprechend, aber die Bush-Administration benutzt diese Forschung als Feigenblatt“, meint Ana Unruh-Cohen. Sie ist Direktorin für Umweltschutz beim Washingtoner Center for American Progress, einer regierungskritischen Denkfabrik. „Einerseits sind die USA bei dieser Technologie führend, andererseits deutet nichts darauf hin, dass die Administration die Energiewirtschaft zwingen wird, sie auch anzuwenden.“ Anders als die Europäer denkt die US-Regierung nicht daran, den CO2-Ausstoß der Industrie zu limitieren – und den Handel mit CO2-Zertifikaten einzuführen.
Tatsächlich ist die IGCC-Technologie auch nicht unbedingt der Weisheit letzter Schluss. Vier Demonstrationskraftwerke liefern weltweit schon Forschungsergebnisse, eins davon steht im niederländischen Buggum. Und Experten bezweifeln inzwischen, dass IGCC je Marktreife erlangen wird. Vattenfall etwa setzt deshalb auf die so genannte Oxyfuel-Technologie. Hier wird die getrocknete Kohle mit reinem Sauerstoff verbrannt, bis nur noch Strom und hoch konzentriertes Kohlendioxid übrig bleiben. Das CO2 wird anschließend unter hohem Druck verflüssigt und kann dann unterirdisch verpresst werden. Vattenfall rechnet ab 2020 mit einem kommerziellen Einsatz.
Die USA erzeugen die Hälfte ihre Energie aus heimischer Kohle. „Wir gehen davon aus, dass sich der Strombedarf der USA bis 2050 trotz Sparmaßnahmen um 40 Prozent erhöht“, sagt NETL-Planungsdirektor James Ekmann. Das Hauptproblem: Der Kraftwerkspark ist hoffnungslos veraltet. Die 600 Kohlekraftwerke erreichen gerade mal einen durchschnittlichen Wirkungsgrad von 32 Prozent. Bedeutet: Nicht einmal ein Drittel der im Rohstoff enthaltenen Energie wird nutzbar gemacht. In Deutschland liegt der Wirkungsgrad bei 40 Prozent.
Selbst wenn es US-Forschern gelingt, die IGCC-Technologie voranzutreiben, bleibt die Frage, wie lange sich das Kohlendioxid tatsächlich in seinem Grab hält. Forscher des norwegischen Nansen-Zentrums haben aus den Sleipner-Erfahrungen Computersimulationen entwickelt. Demnach wäre das CO2 fünfhundert Jahre verschlossen. Umweltschützer bezweifeln dies: Man wisse zu wenig über das Ökosystem Tiefsee und den Zusammenhang mit Meeresströmungen. Und was passiert eigentlich bei Seebeben? ADRIENNE WOLTERSDORF, NICK REIMER