: „Dezentral ist sowieso besser“
BILDWERKE Der Kunsthistoriker Wolf-Dieter Dube über die gescheiterten Pläne für Berlins Museumslandschaft
■ geb. 1934, war von 1983 bis 1999 Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz. 1999 erhielt er den Verdienstorden des Landes Berlin.
INTERVIEW RONALD BERG
sonntaz: Herr Dube, es ging zuletzt hoch her in den Museumsplänen Berlins. Gegen die Entscheidung, die in der Gemäldegalerie am Kulturforum beheimateten Alten Meister auf die Museumsinsel zu bringen, haben Sie heftig protestiert. Fühlen Sie sich, nachdem die Gemäldegalerie mit ihrem kostbaren Bilderbestands am abgestammten Platz bleibt, als moralischer Sieger?
Wolf-Dieter Dube: Ich fühle mich bestätigt in dem, was ich schon im Masterplan von 1991 festgelegt habe. Um das zu verstehen, muss man einen Blick in die Geschichte werfen. Schon vor dem Krieg gab es ja so etwas wie eine zweite Museumsinsel: nämlich um den heutigen Martin-Gropius-Bau herum. Hier befand sich das Kunstgewerbemuseum, das Prinz-Albrecht Palais mit der Kunstbibliothek der Staatlichen Museen und das Völkerkundemuseum. Dieser Komplex konnte nicht erweitert werden. Der preußische Finanzminister hat das abgelehnt mit dem Hinweis auf die staatliche Domäne in Dahlem. Dort hat man also 1914 begonnen, das Asiatische Museum zu bauen. Nach 1945 waren der Gropius-Bau und die beiden anschließenden Gebäude zerstört. Man suchte also in den sechziger Jahren nach einem anderen Standort für die Museen der neu gegründeten Stiftung Preußischer Kulturbesitz.
Die Wahl fiel auf die Gegend nahe dem Kemperplatz.
Ja. Da die Freie Universität Platz in Dahlem brauchte, hat der Senat von Berlin ein Grundstück am Kemperplatz im Tausch gegen Dahlem angeboten. So kam es zu der Entscheidung für den Standort des Kulturforums am Tiergarten mit der Begründung, dass Museen und Staatsbibliothek in einer glücklicheren Zukunft, also nach dem Mauerfall, in fußläufiger Entfernung zur Museumsinsel lägen. Die Gesamtplanung für die Museen hat dann Mitte der Sechziger der Architekt Rolf Gutbrod gewonnen. Mit dem Bauen hat die Stiftung aus Geldmangel aber erst zehn Jahre später begonnen.
Als Sie 1983 nach Berlin kamen, war das viel kritisierte Gutbrod’sche Kunstgewerbemuseum so gut wie fertig. Konnten Sie noch Einfluss nehmen?
Nein, ich habe aber sehr schnell gemerkt, dass mit dem Gebäude nicht alles in Ordnung war. Gutbrod war am Bau selbst gar nicht beteiligt, nur ein Büro mit seinem Namen. Er war bereits im Ruhestand.
Nun gibt seit Peter-Klaus Schuster, der 1999 Ihr Nachfolger wurde, die Tendenz, möglichst viele Museen auf die Museumsinsel zu bringen. Liegt es auch daran, dass sich Architektur und Stadtplanung am Kulturforum verkorkst darstellen?
Das liegt an mehreren Dingen. Tatsächlich ist das Kunstgewerbemuseum missglückt – auch im Inneren, weswegen es jetzt auch umgebaut wird. Hier gab es zu Recht viel Kritik.
Nach dem Mauerfall gab es eine neue Ausgangslage. Sie werden ja bis heute dafür kritisiert, dass Sie an der alten Westberliner Planung für eine Gemäldegalerie am Kulturforum festgehalten haben.
Es ist richtig. Ich habe darauf bestanden, dass die Gemäldegalerie am Kulturforum entsteht, weil es dazu keine Alternative gab. Die Prämisse im Stiftungsrat war ganz deutlich. 400 Millionen waren am Kulturforum bereits verbaut. Deshalb wird weitergebaut. Das war nicht meine Entscheidung. Allerdings habe ich dem Stiftungsrat gesagt, die Planung von Gutbrod für die Gemäldegalerie sei unbrauchbar. Das war ein zweigeschossiger Entwurf mit steilem Seitenlicht und kleinen Räume. Da hat man mir gesagt: „Meinen Sie, wir schmeißen eine millionenteure Planung in den Papierkorb?“ „Gut“, habe ich erwidert, „dann erlauben Sie mir ein Modell zur Verbesserung des Gutbrod’schen Entwurfs.“ Das wurde konzediert. Somit konnte jeder sehen, dass der Gutbrod’sche Entwurf eine Katastrophe war. Das öffnete den Weg für einen neuen Wettbewerb.
Es gab ja damals schon Stimmen, die die Alten Meister auf die Museumsinsel bringen wollten.
Ja, einige junge Kustoden, darunter der heutige Direktor der Gemäldegalerie Bernd Lindemann, wollten den Zustand von 1938 rekonstruieren. Das heißt: Bode-Museum und Nordflügelmuseum des Pergamonmuseums. Dort hatte Bode das sogenannte Deutsche Museum vorgesehen, das von 1930 bis Kriegsausbruch 1939 Gemälde und Skulpturen zeigte. Da wollten die also hin. Da habe ich gesagt: „Das kommt überhaupt nicht infrage.“ Die Museumsinsel ist der Standort für die archäologischen Sammlungen, also Vorderasien einschließlich Islam. Die Welt hat sich seit Kaisers Zeiten weiterentwickelt. Deshalb habe ich entschieden: Wir müssen dem Islamischen Museum dort mehr Raum geben. Der Islam hat eine eklektizistische Kunst, bestehend aus spätrömischen und frühchristlichen Elementen, also Byzanz. Zur Skulpturensammlung gehört traditionell Byzanz dazu. Ursprünglich hieß die Skulpturensammlung ja auch Sammlung der christlichen Bildwerke. Es war deshalb sinnvoll, den Islam an Byzanz anzuschließen. Im Grunde ist die Museumsinsel für mich ein großer Skulpturenkomplex. Das scheint mir heute noch konzeptuell sinnvoll. Und ich finde die heutige Aufstellung der Skulpturen im Bode-Museum wunderbar.
Die Gegner einer integrativen Lösung sagen, der Mix beider Gattungen geht wegen des Lichts nicht. Die Bilder bräuchten es von oben und die Skulpturen von der Seite.
Ja, das ist einfach so. Das geht nur bei den großen Altären, die sind ja immer beides: Malerei und Skulptur, und das wird im Bode-Museum ja auch praktiziert. Aber das ist spezifisch. Was wollen sie zu barocken Bildern, zu holländischen Stillleben stellen?
Da gibt es doch bestimmt irgendwelche Büsten.
Das ist genau, was man nicht machen darf, weil dann das von den heutigen Bildmedien geprägte Publikum die Skulptur nicht mehr ansieht.
Trotzdem hat sich die Stiftung bis vor Kurzem bemüht, die Mischung von Malerei und Skulptur als ideale Lösung zu verkaufen. Liegt es daran, dass auf die Insel mehr Publikum kommt?
Nein, das hat andere Gründe. Ich kann nur vermuten, dass Schuster einen Neubau gegenüber dem Bode-Museum als seinen Fußabdruck haben wollte.
Inhaltlich gibt es keine Begründung?
Ich sehe keine.
■ Der alte Plan: 2012 überraschte die Stiftung Preußischer Kulturbesitz mit einem waghalsigen Plan: Die Alten Meister sollten aus der Gemäldegalerie am Tiergarten ins Zentrum umziehen, auf die Museumsinsel. Und zwar zu den Skulpturen ins Bode-Museum und in einen noch zu errichtenden Neubau. In die Gemäldegalerie sollte dafür die Moderne einziehen: Teile der Sammlung der Neuen Nationalgalerie.
■ Der Shitstorm: Internationaler Protest brach über diese Pläne herein. Außerdem wäre die geplante Museumsrochade – inklusive der Ertüchtigung der Gemäldegalerie für die Kunst der Moderne – schlicht zu teuer geworden und für die Finanziers von Bund und Ländern im Stiftungsrat nicht zumutbar. Das erbrachte eine „Variantenuntersuchung“ des Bundesamts für Bauwesen.
■ Der neue Plan: Nun bleiben die Alten Meister, wo sie sind, und für die Moderne wird es einen Erweiterungsbau der Neuen Nationalgalerie an der Sigismundstraße am Tiergarten geben.
Ist die jetzige Planung mit einem Erweiterungsbau für die Neue Nationalgalerie der Ausweis des Siegs der Moderne über die Alten Meister? In die Moderne wird investiert, der für die Alten Meister geplante Neubau gegenüber der Museumsinsel wird nicht realisiert?
Nein. Die ganze Geschichte des Umzugs der Gemäldegalerie und der geplante Einzug der Moderne in eine umgebaute Gemäldegalerie war eigentlich ohne jede Realisierungsmöglichkeit. Wie man auf die Idee kommen konnte, bei anderthalb Milliarden genehmigte Bauaufgaben noch mal eben eine weitere halbe Milliarde draufzutun, ist mir unverständlich. Und das zudem ohne zwingenden Grund. Dass man die Gemäldegalerie aus dem Verbund der europäischen Kunst mit Kunstgewerbemuseum, Kupferstichkabinett und Kunstbibliothek am Kulturforum herausnehmen wollte, ist für mich nicht nachvollziehbar.
Warum gibt es vonseiten der Stiftung diesen Hang zur Konzentration auf die Stadtmitte? Das ist ja eine Planung aus dem 19. Jahrhundert.
Bode hatte um 1904 noch Sorge, das heute nach ihm benannte Museum überhaupt mit Objekten füllen zu können. Und das, obwohl auf der Insel alle Sammlungen konzentriert waren. Das waren damals doch völlig andere Verhältnisse. Mein Argument war immer Dezentralisierung der Museen wie in London.
Hängt der Drang nach Mitte auch mit der Erwartung zusammen, dort mehr Publikumsquote zu machen?
Das ist natürlich immer wichtig für die Geldgeber. Die wollen das.
Davon steht allerdings nichts in den Grundsätzen der Stiftung, da ist von Bildung und Forschung die Rede. Um Quote zu machen, wird auch bei den Museen nun schon Entertainment geboten.
Das Entertainment hat in den letzten Jahrzehnten die ganze Welt erfasst. Spaß kann man in angemessener Form ja zulassen. Aber ich halte nichts davon, dass in der Basilika des Bode-Museums – mit seiner schlechten Akustik – Opern aufgeführt werden, nur weil es eine Location ist, die Publikum anzieht. So etwas finde ich ebenso zweifelhaft wie eine Weinverköstigung in der Gemäldegalerie. Die Museen müssen darauf beharren, dass sie zuerst Einrichtungen der Volksbildung sind. Sie müssen ihren Platz innerhalb der Bildungsoffensive finden, von der heute politisch die Rede ist.