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Archiv-Artikel

Die Regie kann machen, was sie will

THEATERTREFFEN Weil sich das Theater zum Modell neoliberaler Arbeitsordnung gemacht hat, werden keine Theatertexte mehr geschrieben, die auf Autonomie bestehen. Die Erfahrungen einer Jurorin mit Manuskripten

Marlene Streeruwitz

■ 1950 in Baden bei Wien geboren, ist Autorin und Regisseurin. Sie wurden vor allem mit feministisch engagierten Romanen bekannt („Nachwelt“, „Majakowskiring“, „Jessica, 30“, „Partygirl“ und „Kreuzungen“). Zu ihren Theaterstücken gehört „Waikiki Beach“ und „Ocean Drive“. Sie ist eine von fünf Juroren des Stückemarkts des diesjährigen Theatertreffens. Dieser Text über die Auswahl der Manuskripte ist der erste von dreien, die sie zum Stückemarkt schreibt. Teil 2 über die Rolle des Publikums und Teil 3 über die Schauspieler erscheinen auf ihrer website www.marlenestreeruwitz.at.

VON MARLENE STREERUWITZ

Als Juror oder Jurorin des Stückemarkts der Berliner Festspiele sind x Stücke zu lesen. Es gibt eine Vorauswahl aus der Masse der Einreichungen. Deutschsprachige Autoren und Autorinnen sind in der Überzahl. Es reichen die Verlage ein. Ein Lebenslauf mit Bild verwandelt die Einreichung in eine Bewerbung. Wie um einen Job. Die Bezeichnung „Stückemarkt“ beschreibt also eine Wahrheit. Ein kleiner Marktplatz wird virtuell hergestellt. Die Verlage bauen ihre Buden auf und empfehlen ihre Ware. Die Ware sind die Stücke. Die Urheber liefern sich selbst als Homestory mit. Die Lebensläufe entwerfen ein Profil der Motivation für das Schreiben von Theaterstücken. Schreibschulen. Projekte. Stipendien.

Immer schon war den Urhebern und Urheberinnen dieser Texte die Arbeit am Theater wichtig. Immer schon oder zumindest ab der Entscheidung, was studiert werden soll. Es ging ihnen ums Schreiben. Es geht um schreiben. Literatur ist nicht mehr gemeint.

Nun. Es könnte ja um eine erfreuliche Entauratisierung des Schreibens gehen. Es könnte darum gehen, dass dem Theater Texte zu Verfügung stehen, die in einer sanfteren Insistenz auf sich selbst der Aufführung einen anderen Platz schaffen. Die vielbeschworene Interdisziplinarität könnte im Theater angewandt, in den vielen Schritten der Theaterproduktion Zusammenarbeit in ästhetischen Dingen herstellen und uns vorführen, wie das gehen könnte. Wie es sein könnte, wenn von Anfang an gleichwertige Entscheidungen zusammengeführt würden. Es könnte eine Produktion entstehen, in der alle Mitwirkenden bemerkbar wären. Eine andere Ästhetik. Ein anderes Arbeitsmodell. Wir könnten allabendlich das sehen, wozu das Theater da sein sollte. Wir könnten dann in ein Labor des Gesellschaftlichen gehen und bekämen die Ergebnisse der Arbeit da vorgeführt. Der Text wäre das Werkstück, an dem diese horizontale, interdisziplinäre Arbeitsweise erprobt wurde. Das Theater wäre nicht Unterhaltung und es wäre nicht das Archiv des Hegemonialen.

Das Archiv der Hegemonie

Das Theater ist aber Unterhaltung und damit und darin das Archiv der Hegemonie. Die Arbeitsweise des Theaters war schon effizienzideologisiert, da wurden gerade erst die letzten Gleichstellungsgesetze gebastelt. Effizienz im Theater drückt sich in einer Hierarchie aus, die dem Regisseur die letzte Entscheidung überlässt. Das heißt, dass er gleich mit der ersten Entscheidung recht haben wird. Um die Regisseure, die diese Hierarchie am besten durchsetzen können, um diese Regisseure gruppieren sich kleine Horden von Mitarbeitern. Das wird Team genannt.

Die eingereichten Texte sind für diese Art von Theater gemacht. Das folgt der Logik eines Binnenmarkts. Das ist dann der „Theaterbetrieb“. Eine nicht richtig fassbare Welt der Netzwerke ist das, in der die Entscheidungen fallen. Was da passiert, ist über die Zugehörigkeit schon kontrolliert. Die Texte, die da in Erscheinung treten dürfen. – Es reichen ja die Verlage ein. – Diese Texte sind in diese Kontrolle eingebunden. Wir haben also sicher nicht die Texte zu lesen bekommen, die zum Beispiel ein Begehren auf Literatur entwickeln.

Literatur bedeutete ja eine Dominanz des Texts, der die Dominanz des Regisseurs in Frage stellt. Der Regisseur entscheidet über die Annahme des Texts. Ein Verlag wird keinen solchen Text vorlegen. Ein solcher Text brächte ja kein Geld. Vielleicht ist es so weit gekommen, dass Texte mit einem Bestehen auf sich selbst nicht mehr geschrieben werden. Vielleicht haben nun schon alle, die schreiben, in den Schreibschulen gelernt, was sich auszahlt und was nicht.

Wir können nach dem Lesen all dieser Stücke sehr viel über die Verlage sagen. Wir können sehr viel über die Schreibschulen im deutschsprachigen Raum sagen. Wir können ganz sicher nichts über die Dramatik der Gegenwart sagen.

Welche Stücke passieren nun diese innere Zensur eines Bereichs, der im Abstieg begriffen ist. Das Theater ist mit dem Nachweis der eigenen Berechtigung beschäftigt und muss allabendlich Politikern und Politikerinnen, die nichts über Kultur wissen, Kultur liefern. Dabei ist es gleichgültig, aus welcher Partei diese Politiker oder Politikerinnen kämen. Das Theater hat schließlich mit der Effizienzideologie in den 80ern begonnen und war darin ein Modell neoliberaler Arbeitsordnung. Da soll das Theater gleich weitermachen und die endgültige Verwirtschaftlichung vorführen. Am Ende einer langen Kette von immer billiger werdenden Abendessensbesprechungen sitzt dann der Schreiber oder die Schreiberin mit ihrer Verlagsvertrauensperson beim billigsten Italiener hinter dem Theater und es werden die Rahmenbedingungen vermittelt, in denen sich so ein Text bewegen darf.

Aus der Kleinstfamilie

Ein solcher Text darf keine Ansprüche an die Bühne stellen. Das soll dem Regisseur überlassen bleiben. Und. Es soll billig produziert werden können. Ein solcher Text darf nicht zu viele handelnde Personen aufweisen. Denn. Es soll billig produziert werden können. Ein solcher Text soll nicht kritisch sein. Schließlich. Es sollen Zuschauer hineingehen. Ein solcher Text darf Fragen aufwerfen. Es darf nach dem Sinn des Lebens gefragt werden. Sehr allgemein. Es darf nach dem Glück gefragt werden. Durchaus sehnsüchtig. Und. Ein solcher Text soll die Gegenwart anprangern. Nicht politisch, sondern anekdotisch karikierend.

Ein solches Rezept führt geradewegs in die Art des Stücks, das dann etwa die Hälfte der Einreichungen ausmachte. Ohne Ortsangaben werden aufs mindeste reduzierte Repliken aus der Kleinstfamilie geliefert. Diese Repliken werden nach dem, im deutschen Sprachraum so geliebten, tschechowschen Dialogmuster angeordnet. Replik folgt Replik. Es gibt keine Kommunikation der Figuren miteinander. Aus dem Fehlen von Rede und Gegenrede ergibt sich die äußerste Interpretationsweite für die Regie. Keine innere Logik zwingt den Regisseur in eine Entscheidung. Die Regie kann machen, was sie will. In den eingereichten Texten sind die Eltern die Lebendigen, die sterben müssen. Ihr Leben beziehen diese Eltern daraus, dass sie aus der 68er Generation stammen und ihre Aggressionen nicht mehr in körperlicher Gewalt auslebten. Das wird diesen Eltern aber schlecht angerechnet, obwohl kein Beweis für andere Gewaltausübung vorgelegt wird.

Der Stückemarkt

■ Der Stückemarkt des Theatertreffens, gegründet vor 31 Jahren, will ein Festival der Entdeckungen sein für noch unbekannte Autoren, inzwischen aus ganz Europa. 297 Stücke wurden dieses Jahr eingereicht; fünf Autoren (Ekat Cordes, Claudio Grehn, Wolfram Lotz, Peca Stefan, Julian van Daal) für szenischen Lesungen ausgewählt. Viele der hier erstmals von prominenten Schauspielern präsentierten Werke machen ihren Weg in die Spielpläne der Theater.

Es ist, als hätte das Verhältnis sich umgedreht und die Kinder werfen den Eltern ihre Existenz vor und verbergen darin ihre Selbstverachtung. Trotz aller Flachheit wird viel gestorben in diesen Stücken. Und wer anderen hilft, der stirbt ganz sicher.

Das wiederum sind Beschreibungen davon, wie es gerade ist. Darin ist dann eine Erinnerung enthalten, was Literatur einmal war. Die dringliche Erinnerung, wie es sein könnte und meistens ist, aber nicht sein soll. Diese Texte enthalten aber nur eine Erinnerung an diese Erinnerung und das nur deshalb, dass die Textsorte selbst erkennbar bleibt. Ein Begehren nach Ausgedrückheit. Wut. Zorn. Verzweiflung. Das Ringen um Glück. Der Versuch, sich ein Leben zu verschaffen und nicht vollkommen der Prostitution der Arbeitsverhältnisse zu verfallen. Rettung. Nichts davon. Freundliche Resignation herrscht, als wolle uns jemand auf jeden Fall nicht auf die Nerven gehen.

Die theaterbetrieblichen Texte erinnern sich daran, dass es eine entwerfende Erinnerung gab. So sind sie nicht Literatur. Sicher nicht politisch. Aber auch nichts anderes.

Ausgewählt wurden dann am Ende die Texte, die sich am wenigsten dem Diktat des Betriebs ergaben und zumindest nicht klein sein wollten.

Im Abstieg wäre es eben doch gut, die eigene Interessenlage erkennen zu können. Obwohl. Von wo steigt das Theater wohin ab oder um. Die old boys des Theaters waren ihre eigenen Vorgänger in den 70ern. Nirgends ist die biografische Kurve des Diktatorischen besser abzulesen als in den Karrieren der Peymann-Stein-Generation. Nirgends wird Führung dicker mit Kunst camouflagiert. Nirgends war das einfacher, weil der Theatertext zum Schlachtfeld gemacht wurde. Das wäre notwendig gewesen. Das hat aber eben nur zu Regiekarrieren geführt und nicht zu neuen Texten am Theater, die wiederum eine vorbildliche Arbeitsweise nach sich ziehen hätten müssen. Unterhaltung als Erhaltung der Hegemonie. Die Krokodilstränen eines Publikums, das sich dieser Unterhaltung zur eigenen Erhaltung ergibt. Diese Krokodilstränen sind dem Theater immer sicher.