Freud ist tot.

Es lebt.

Ja, er ist tot. Gestorben am 23. September 1939, drei Wochen nach dem Angriff der deutschen Wehrmacht auf Polen, dem Beginn des Zweiten Weltkriegs. Ob auch Sigmund Freuds Ideen gestorben sind, wird seither, Jahr für Jahr mit ähnlich hämischer oder bedauernder Geste gefragt. Die einen sagen so, die anderen so. Möglicherweise steht die „definitive und avancierteste Software unseres glänzenden und reichen westlichen Lebens“ (der Schriftsteller Stephan Wackwitz jüngst im Merkur) namens Psychoanalyse vor einer Renaissance sondergleichen.

Die Phantasien, aus denen Freud eine (Erfahrungs-)Wissenschaft begründete, wurden in einer Zeit geboren, als die kapitalistische Welt bürgerlich wurde, das Feudale ablegte. Man glaubte an Technik, an Machbarkeit – und dass die Seele auch nur eine Maschine sei. Freud hat diese monströse These gründlich demontiert. Der Mensch ist keine Konfektionsware, kaum normierbar – vor allem nicht im Sexuellen. Auch sei der Mensch nicht Herr im eigenen Haus, sondern ein Getriebener seiner Phantasien, Sehnsüchte, Begierden und Unruhen. Und er ist es von der ersten Sekunde an, vom ersten Muckser, von der ersten Hautberührung an – ein Teil eines Kosmos namens Gesellschaft, mit allerdings je eigenem Universum, das man sich angewöhnt hat, Individualität zu nennen.

Die Psychoanalyse rivalisiert mit anderen Formen der bürgerlichen Selbstaufklärung. Sie kann es sich leisten, eigensinniger denn je, Kritik am neobiologischen Zeitgeist zu üben: Sie hat die analytischen Mittel für diese Übung. Das taz.mag birgt in dieser Ausgabe Beiträge zu einigen der Erbschaften Freuds. Angenommene. Und ausgeschlagene.