: Der Kampf um die Erinnerung
Die Stadt Oldenburg verleiht den Carl-von-Ossietzky-Preis an den Historiker Volkhard Knigge. Warum, verrät die Jury nicht. Derweil ringt die Uni Oldenburg mit dem sperrigen Erbe ihres Namenspatrons
„Aus Oldenburg kommen nur Verführer oder Verführte. Wozu gehören Sie?“, hörte der Oldenburger Student Volkhard Knigge in den 70er Jahren. Damals versuchten linke Studentenverbände den Namen „Carl von Ossietzky-Universität“ durchzusetzen. Die niedersächsische Landesregierung ließ den Schriftzug von der Fassade entfernen. Durch die Presse ging damals weltweit ein Aufschrei: Der Pazifist und Nazi-Gegner Ossietzky, der im KZ Papenburg-Esterwegen nahe Oldenburg inhaftiert worden war, durfte nicht Namensgeber einer deutschen Uni werden.
Die Stadt Oldenburg stiftete zur Ehrenrettung einen Preis, der nach Ossietzky benannt wurde. „Meine Generation hat sich die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus erstreiten müssen“, resümiert Knigge, diesjähriger Preisträger und Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchwald und Mittelbau Dora. Wer sich damals für die Orte interessierte, an denen Ossietzky gelitten hat, musste im Grünen nach Spuren suchen. „Mit den Pfählen des Lagerzauns wurden Kuhweiden eingezäunt.“
Anders in Buchenwald: Das Lager war nationale Gedenkstätte der DDR. Totgeschwiegen wurde hingegen, dass die Sowjets hier später in einem „Speziallager“ 27.000 Häftlinge, mehrheitlich NS-Mitläufer, quälten. Als Knigge 1994 die Leitung der Gedenkstätten übernahm, hofften einige, diesen Opfern würde nun ein den NS-Verfolgten ebenbürtiges Gedenken zuteil. Knigge baute für die Speziallager-Opfer ein eigenes Museum, doch derartigen Ansprüchen erteilte er eine Absage. Die Antwort waren Strafverfahren, eine „Rote-Socken“-Kampagne seitens Bild und FAZ und Argwohn im Neuen Deutschland, Adenauers Enkel würden nun den Antifaschismus zerschreddern. Knigges Werk sei jeder Epoche gerecht geworden, las indes Jury-Sprecherin Franziska Augstein nun in ihrer Laudatio vor: Dem KZ, dem Speziallager und dem DDR-Mahnmal. Auf der Pressekonferenz zuvor war es Augstein schwer gefallen, die Juryentscheidung zu begründen. „Sie haben es doch gehört“, verwies sie die verwunderten Journalisten auf Knigges eigene Worte. Auf den Einwand, Knigge habe sich den Preis doch wohl nicht selbst verliehen, las sie mit langem Atem aus den Vergaberichtlinien vor.
Ein Freundschaftspreis an einen verdienten Weggefährten vielleicht? Ernst Hinrichs, emeritierter Professor für Geschichte in Oldenburg und Jury-Mitglied, widerspricht: An den Studenten Knigge könne er sich nur vage erinnern. Jury- Kollege Norbert Frei, der gemeinsam mit Knigge publiziert hat, habe sich bei den Beratungen zurückgehalten.
Hinrichs hatte ursprünglich für einen noch öffentlichkeitswirksameren Preisträger plädiert. Mit Uri Avnery (2002) und Noam Chomsky (2004) holte die Jury in den Vorjahren Glamour nach Oldenburg. Doch der Aufwand, derlei Weltstars an der Hunte zu präsentieren, sei nicht mehr zu stemmen gewesen.
Und Ossietzky? Zur Jahrtausendwende hat die Universität ihr Logo umgestaltet. Statt der Original-Unterschrift des Namenspatrons ziert seither ein sensenartiger Bogen, der an Weite, Küste, Meeresforschung gemahnen soll, die Hochschule. Diese „technokratische“ Symbolik, findet Ernst Hinrichs, passe auch zu den drastischen Streichungen in den Geistes- und Sozialwissenschaften, wo die Ossietzky- und Tucholsky-Gesamtausgaben entstanden. Ossietzkys Erbe jedenfalls sei herzlich egal, wo man nur auf Informatik und Betriebswirtschaft schiele.Annedore Beelte