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Archiv-Artikel

Achse des Unkaufbaren

Lidl, Schlecker, Air Berlin – die Liste der „bösen“ Unternehmen, die wir Verbraucher boykottieren sollten, wird immer länger. Was tun? Abwarten, dann löst sich das moralische Problem von selbst

Selbst die hitzigste Empörung kühlt allmählich ab, das ist ganz normal

VON NATALIE TENBERG

Die Fluggesellschaft Air Berlin ist nun also die nächste Sau, die, im Werbefernsehen mit einer Johannes-B.-Kerner-Maske vorm Gesicht, durchs Dorf getrieben wird. Die Zustände innerhalb des Betriebs, so kam jetzt im Kondensstreifen des wieder verschobenen Börsengangs heraus, sind tatsächlich verwerflich: niedrige Gehälter, Überstunden, Zeitverträge, müdes Kabinenpersonal, furchtbar, pfui, pfui, pfui.

Als aufgeklärter Verbraucher sollte man nun also einen großen Bogen um diesen Carrier machen, stattdessen auf Alternativen umsteigen. Denn nichts zwingt ein Unternehmen so in die Knie wie die Macht des Verbrauchers! Aber der gemeine Verbraucher an sich, so scheint es, ist gar nicht so sehr auf Macht versessen, wie er es sein könnte oder sollte.

Öffentlich, ja, da schwingt er Reden: Lidl, Schlecker, Air Berlin – die Achse des Unkaufbaren! Im stillen Kämmerlein sieht es schon anders aus – vor allem, wenn dieses Kämmerlein über einen Internetanschluss verfügt. Erinnern wir uns an das erste Lidl-„Schwarzbuch“ im Dezember 2003.

Wie fest war unser Entschluss, nie wieder einen Fuß in das Geschäft mit den schäbigen Praktiken zu setzen! Auch im privaten Kreis war der Lidl-Einkauf plötzlich verpönt – ungefähr zwei Wochen lang. Dann kauften wir doch wieder bei Lidl ein. Schamhaft zuerst, dann immer selbstverständlicher, bis endlich der Gang zum Discounter nichts mehr war, was gerechtfertigt oder hinterfragt werden müsste. Wo man doch so trefflich mit der Tugend der Sparsamkeit kokettieren kann.

Achten Sie mal darauf, im Freundeskreis: In den nächsten Wochen werden die bereits gekauften Air-Berlin-Tickets aufgebraucht werden wie der Milbona-Joghurt von Lidl, den man – leider, leider! – noch im Haus hatte. Der Flug über Pfingsten nach Sevilla, die Reise nach London, darauf wird doch keiner verzichten, der schon gebucht hat.

Die nächste Stufe zur Normalisierung ist dann genommen, wenn jemand beim Abendessen unter Freunden sagt: „Ich fliege am Donnerstag nach Kopenhagen.“ Dann wird eine Diskussion über den Flugpreis und schlechte Arbeitsbedingungen losbrechen und der unvorsichtige Air-Berlin-Kunde vergeblich nach Ausflüchten suchen. Nach fünf Minuten werden alle einen stillen Moment einlegen, dann kommt die Phase, in der jeder noch etwas Nettes über Air Berlin zu sagen hat. Andere Fluggesellschaften sind doch auch nicht ohne! Und der Rheinländer in der Runde wird an die Umstrukturierung bei Lufthansa erinnern, die der schönen Stadt Köln in den Achtzigern viele Arbeitsplätze entrissen hat, nur um einige wieder im humorlosen Frankfurt anzusiedeln.

Ein anderer wird vielleicht lobend das Billigbrötchen erwähnen, das Air Berlin jedem Kunden gratis und freiwillig in die ausgestreckte Hand legt, das von Lufthansa aber gemeinerweise unterschlagen wird. Und Easyjet verkauft das sowieso viel zu teuer! Aber immer noch besser als Ryanair, oder?

Dann werden die PR-Lügen wiederholt werden, die irgendwann mal irgendwo standen, von einer freundlichen Crew und einer modernen Flotte, und auf diese Weise wird der Kaufentscheidung für Air Berlin allmählich das Unbehagen genommen. Spätestens bei einer herbstlichen Flugbuchung wird die aktuelle Aufregung vergessen sein wie die langweiligen Spiele bei der WM.

Das Laub wird von den Bäumen rieseln, die Flugzeuge von Air Berlin werden in Tegel abheben und landen, und alles wird wieder beim Alten sein: Der Verbraucher wird wieder auf den Preis und die Leistung schielen, denn aufrichtig und immer konsequent solidarisch, das ist er nämlich beileibe nicht.

Solange aber Air Berlin seinen Verbraucher selbst anständig behandelt, so lange ist er bereit, der Fluggesellschaft die Bordkarte zu halten. Was den Verbraucher nämlich am allermeisten interessiert, das ist er selber.