„Mit dem Label Diva kann ich leben“

Katharina Schüttler, 26, spielt seit Jahren erfolgreich in Film- und Theaterproduktionen. Jetzt haben die Kritiker ihre Begeisterung für die Schauspielerin entdeckt – und sie prompt beim neuen deutschen Bühnen-Fräuleinwunder eingemeindet. Aber will die Schauspielerin überhaupt dazugehören?

INTERVIEW DOMINIK SCHOTTNER
UND DAVID DENK

taz: Herzlichen Glückwunsch, Frau Schüttler, die Süddeutsche Zeitung hat 2006 zu Ihrem Jahr erklärt.

Katharina Schüttler: Mein Bild war amüsanterweise größer als das vom Papst und von Angela Merkel!!!

Und? Wird es Ihr Jahr?

Bis jetzt ist es schon ganz okay. Ach, ich weiß nicht.

Na ja, Thomas Ostermeiers „Hedda Gabler“-Inszenierung mit Ihnen in der Titelrolle ist zum Theatertreffen eingeladen.

Ja, ist schon super. Ich kann das gar nicht so bewerten, weil ich mittendrin stecke. Es ist schade: Oft passieren einem so tolle Dinge, und in dem Moment hat man gar nicht das Bewusstsein dafür. Und im Nachhinein denkt man sich: Wie blöd war ich eigentlich, dass ich das nicht viel mehr genossen habe?

Sie stehen im Moment als Interviewpartnerin hoch im Kurs. Ist es für Sie schon normal, anderen Menschen die Welt zu erklären?

Wenn ich mir Gedanken darüber machen würde, würde ich denken: Wie absurd! Aber ich mache mir keine Gedanken darüber, sondern gehe hin und sage irgendwas.

In Porträts über Sie heißt es: „Sie hat ein Faible fürs Radikale.“ Dann wieder: „Sie ist blass und fragil.“ Was stimmt denn nun?

Das schließt sich ja nicht unbedingt aus. Außerdem: Ich glaube, ein Faible fürs Radikale habe ich vielleicht auch. Der Tenor mancher Texte ist allerdings in der Tat häufig so von wegen „neue deutsche Patzigkeit“ oder „anstrengende Diva“. Besonders der im Spiegel war voll von solchen „Labels“. Das ist zwar etwas merkwürdig, weil es mit mir relativ wenig zu tun hat, aber ich kann damit gut leben. Wenn ich solche Sachen lese, habe ich den totalen Abstand dazu, als ob ich über eine Kunstfigur lese, die zwar mit mir zu tun hat, die aber nicht ich bin.

Können Sie bei Verrissen auch so cool bleiben? Die FAZ hat Ihre Hedda Gabler nicht gemocht.

Es tut mir Leid, aber über diese Kritik habe ich gelacht. Die Rezensentin wollte, glaube ich, ein Theater, das mich nicht interessiert. Deswegen war mir die Kritik relativ egal. Die Einladung zum Theatertreffen beweist, dass sie einigen anderen Kritikern sehr gut gefallen haben muss.

Auf wessen Kritik hören Sie denn?

Auf die des Regisseurs. Und auf die von Menschen, die mir wichtig sind. Du kannst nie Kunst machen, die allen gefällt. Es wäre totaler Blödsinn, die Meinung eines Kritikers, die ja sehr persönlich ist, eins zu eins ernst zu nehmen oder als allgemein gültig zu verstehen.

Aber man könnte sie als Anregung verstehen.

Ja, man kann sie immer als persönliche Meinung eines Einzelnen ernst nehmen. Aber Schauspieler sind in Kritiken ja eh meist nicht relevant, und wenn doch, dann mit einem bösen Adjektiv. Oder ab und zu sogar mit einem netten. Man darf nicht vergessen, dass es in der Kritik nicht darum geht, was du machst, sondern immer um den, der sie schreibt.

Braucht man nicht auch eine fachliche Außenperspektive, die einem Freunde wohl eher nicht geben können?

Wenn Freunde ehrlich sind, können sie das auch übernehmen.

Verbindet Sie etwas mit den anderen jungen deutschen Schauspielerinnen, die gerade sehr erfolgreich sind: Julia Jentsch, Sandra Hüller, Jessica Schwarz?

Wir sind halt mehr oder weniger gleich alt.

Im Gegensatz zu Ihnen können viele Gleichaltrige mit Theater nichts anfangen. Woher kommt Ihre Leidenschaft?

Durch meine Eltern. Die haben immer Theater gemacht.

Haben Sie also auch schon vor Ihrer Schauspielausbildung privat Klassiker zu gelesen?

Nein. In der 11. Klasse haben wir „Nathan, der Weise“ gelesen. Da war ich nicht da, weil ich ein Jahr im Ausland war. Und in der 12. „Faust“. An der Schauspielschule ist mir übrigens fast kein Klassiker begegnet. Als ich die „Jungfrau“gemacht habe, wurde ich das erste Mal mit einem klassischen Text konfrontiert. Ich bin auch niemand, der zu Hause eben mal so „Iphigenie auf Tauris“ liest.

Die Reclam-Heftchen stapeln sich bei Ihnen also nicht.

Doch, mittlerweile schon. Alle gelesen habe ich aber natürlich nicht.

Lesen Sie denn viel, um sich auf Ihre Rollen vorzubereiten?

Doch, schon. Aber ich glaube, du kannst so viel lesen, wie du willst, das macht nicht besser, was du spielst. Ich bin eher intuitiv beim Spielen und deswegen am Anfang der Probenzeit immer ratlos. Ein guter Ausgangspunkt finde ich. Den Zugang kriege ich durchs Machen. Ich glaube, ich habe es im Gefühl, wenn etwas eine innere Logik entwickelt. In Worte fassen kann ich das nicht.

Sind Sie mit Ihren Rollenangeboten zufrieden?

Im Theater absolut. Beim Drehen sind spannende Rollen schon weniger häufig gesät. Wenn ich noch mal so eine intensive Rolle wie „Sophiiiie!“ bekäme, das wäre toll. Das kann dann auch eine historische Figur sein – total egal.

„Sophiiiie!“ erzählt von einer jungen Frau, die ungewollt schwanger wird – und sich nicht entscheiden kann, ob sie abtreiben soll oder nicht. Man hat Ihnen von „Sophiiiie!“-Ausschnitten auf Ihrem Demoband abgeraten. Warum? Sie scheinen ja immer noch stolz darauf zu sein.

Natürlich. Es ist nach wie vor der beste Film, den ich gemacht habe – vielleicht gerade weil er so umstritten ist. Weil es ein Film ist, der niemanden kalt lässt. Der immer sehr heftige Reaktionen auslöst. Im Negativen wie aber auch im Positiven. Das finde ich eine große Qualität. Es ist ja nicht so, als wenn „Sophiiiie!“ nur auf Ablehnung gestoßen wäre. Wir liefen in Locarno im Wettbewerb, in Göteborg als Eröffnungsfilm, in Montréal in einer sehr guten Reihe. In München haben wir zwei von drei Preisen gewonnen. Ich habe noch nie auf einen Film so viele extrem begeisterte Reaktionen bekommen.

Aber was ist der Makel, der Ihnen durch „Sophiiiie!“ angeblich anhaftet? Es ist doch Ihr Job als Schauspielerin, auch extreme Figuren darzustellen.

Ich glaube nicht wirklich, dass mir durch „Sophiiiie!“ ein Makel anhaftet. Natürlich ist es mein Job als Schauspielerin, auch extreme Figuren zu spielen, Menschen, die ganz anders sind als ich es bin! Ich glaube, das hat mit einem nicht vorhandenen Vorstellungsvermögen und einer Fantasielosigkeit von Redakteuren, Produzenten, Castern und auch Regisseuren zu tun. Also, dass du die Leute so besetzt, wie du sie schon mal gesehen hast. Wenn du einmal historisch gedreht hast, dann drehst du immer historisch. „Ach, die hat aber ein tolles Dreißigerjahre-Gesicht!“ – zack, drehst du immer Dreißigerjahre-Filme! Bloß weil sie dich einmal mit einem in die Zeit passenden Kostüm gesehen haben. So einfach funktioniert das nämlich oft. Wenn jemand lange Haare hat, kann sich niemand vorstellen, dass man die auch abschneiden kann.

In ungewohnter Rolle hat man sie zuletzt in der Pro7-Komödie „Vorsicht Schwiegermutter!“ gesehen. Die Arbeit an dem Film haben Sie als schwierig bezeichnet. Warum?

Ganz einfach: Menschen zum Lachen zu bringen, ist schwieriger, als sie zum Weinen zu bringen. Im Theater war ich in meinen ersten Stücken oft komisch. Das hatte ich schnell raus. Der Unterschied zwischen Theater und Film ist die Probenzeit: Beim Theater kannst du einen Witz oder eine Pointe so lange ausprobieren, bis du merkst: Jetzt lachen die! Beim Drehen hast du diese Zeit nicht, da kommst du ans Set, hast zwei Stunden Zeit für eine Szene – und wenn die nicht witzig ist, dann ist die nicht witzig. Aber rauszukriegen, wie ein Witz funktioniert, ob es komisch ist, wenn du total ernst hinfällst oder total albern, das sind ja Dinge, die stehen im Drehbuch nicht drin und da hilft dir auch meistens kein Regisseur weiter.

Eine letzte Frage: Haben Sie eine Schamgrenze? Während Ihres High-School-Jahrs in den USA sollen Sie auf einem Garagendach vor einem Gefängnis gestrippt haben.

Ach, da haben wir gepinkelt, und die aus dem Gefängnis haben uns gesehen und angefangen laut zu brüllen. Dann haben wir halt angefangen, so ein bisschen zu strippen, T-Shirt hoch und so. Aber Amerika ist ’ne andere Geschichte. Es ist so stockkonservativ, dass es einen als Teenager ziemlich reizt, solche Dinge zu tun. Hier hätte ich so was vermutlich nie gemacht.

Und bei der Arbeit?

Ich würde nicht sagen, ich habe eine Schamgrenze, aber ich habe natürlich Scham. Bei Nacktszenen, besonders beim Film, ist das schon heikel. Man kennt die Leute um einen herum ja nicht allzu lange – auch nicht den, mit dem man simuliert, Sex zu haben. Beim Theater kommt es aufs Licht an. Wenn ich das Publikum nicht sehe, fühle ich mich sehr geschützt.