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Archiv-Artikel

Das stadtgerechte Auto

URBANE VISIONEN Der Autobauer Daimler präsentiert Ideen und Utopien zum urbanen Leben. Im Kern stehen einige bemerkenswerte Projekte, umhüllt werden sie von einer cleveren PR-Inszenierung von Elektromobilität

Eine Ernte ist eingefahren, eine innerstädtische Brache wiederbelebt worden

VON KRISTINA PEZZEI

Der Smart ist immer schon ein Stadtflitzer gewesen. Verschrien, gewürdigt, ganz egal: Nie würde einer auf die Idee kommen, das würfelförmige Gefährt zu einer Landpartie zu missbrauchen. Insofern scheint es folgerichtig, dass ausgerechnet die Köpfe hinter der Daimler-Marke eine Ausstellung über die Zukunft der Stadt inszenieren. „smart urban stage – experience tomorrow’s ideas for your city“ titeln die Stuttgarter Autobauer ihre Schau über Projekte und Utopien, die sich um urbanes Leben für die kommende Generation und die danach ranken.

Stadt und Land dürfen sich nicht länger gegenseitig bekriegen. Zersiedlung und Flächenfraß, Massenanbau und Flurbereinigung sind nicht länger schick, weil wenig zukunftsweisend – so das Credo. „Wie können wir Genuss ohne Reue verspüren“, sagt Marc Langenbrinck. Er ist Managing Director smart brand, Head of Sales & Marketing smart. Rein berufsmäßig ist für ihn nachhaltiges Leben eines, in dem sich weiterhin alles ums Auto dreht. Und weil „Platz und Raum der Luxus der Zukunft“ sind, drängt sich der fast quadratische Smart mit Elektroantrieb als genussvolles und bewusstes Fortbewegungsmittel förmlich auf. Aus Unternehmersicht klingt das logisch.

Die Köpfe hinter den präsentierten Ideen liefern den Mut für Visionen, die Wirtschaft gibt ihnen eine Plattform. Unter einem weißen Zelt auf einer Brache an der Oranienburger Straße werden Vitrinen und grün angestrahlte Textsäulen gezeigt. Ob Utopie oder handfestes Vorhaben, alles was über kurzfristiges hinausgeht, darf dabei sein. „Lösungen, die in zwei Jahren Makulatur sind, bringen nichts“, sagt Langenbrinck.

Erwähnenswert scheinen den Ausstellungsmachern etwa die Prinzessinnengärten in Kreuzberg. Auf einem 6.000 Quadratmeter großen Gelände in Kreuzberg haben Anwohner und Interessierte Müll beseitigt, transportable Biobeete angelegt, gepflanzt und gesät. Erste Ziele sind erreicht: Eine Ernte ist eingefahren, eine innerstädtische Brache wiederbelebt und klimafreundlich gestaltet worden. Menschen haben sich in den Gärten kennengelernt, sie gestalten etwas in Gemeinschaft – in Zeiten, in denen viele unterschiedliche Typen immer enger zusammenleben müssen, ein nicht zu unterschätzender Faktor.

Abstrakter sind die Körperteil-Skulpturen der Amerikanerin Jennifer Morone. Sie hat aus Klebeband etwa Füße und Hände nachgebildet. Fragil, durchsichtig ist das Material, anders als die Bronzebüsten vergangener Epochen; ein Sinnbild für die Vergänglichkeit des Dargestellten (und damit der Betrachter).

Nah an der Utopie schließlich siedelt eine Idee der Berliner Hanspeter Kadel und Myriel Milicevic: Sie wollen Energie, die beim Abstrahlen von Leuchtreklame und beim Tuten des Martinshorns verlorengeht, sammeln und nutzen. Kleine Akkus nehmen Licht, Lärm und Vibrationen auf und wandeln sie in einspeicherbare Energie um. Unrealistisch – aber ein Denkanstoß.

Dafür beweisen die intelligenten Ökomaschinen, dass es eine Grenze zum Abstrusen gibt – und dass sie überschritten werden kann. Garten-Roboter sollen gleichsam Natur auf Knopfdruck hin zurück zum Menschen bringen. „Natwalk II“ überträgt die ökologischen Aufgaben an Roboter, und soziale gleich mit dazu.

Hinter je zwei Werken stehen Kuratoren unterschiedlicher Disziplinen. Die Gründerin des Aedes Architekturforums Kristin Feireiss hat die stadtplanerischen Konzepte ausgewählt; Michael Braungart, Schöpfer des Cradle-to-Cradle-Prinzips, übernahm den Wissenschafts-Part, der Design-Professor Boris Müller kümmerte sich um Medien und IT.

Neben der Bar an einer Schmalseite des Zeltes steht eine weitere Vitrine – mit Smart-Souvenirs. Auf der Freifläche vor dem Behelfsbau sind eine Hand voll der Elektro-Versionen des Smarts geparkt. Sie können während der Ausstellungswochen probegefahren werden: Die Schau ist eben auch und vermutlich vor allem eine clevere Inszenierung, hübsch verpackte Werbung für Daimler und seine Investitionen in die Elektromobilität.

Besucher können sich davon blenden lassen. Müssen sie aber nicht, gegen Werbestrategien kann man sich wappnen. Und dafür, dass die profitorientierten Autobauer einen mittelfristig unvermeidbaren Diskussionsprozess vorantreiben, kann man ihnen fast schon dankbar sein. Schauen und denken ist auch ohne Smart-Kauf erlaubt.

■ „smart urban stage“, bis 13. Juni, Oranienburger Straße 59–63, tägl. 12 bis 20 Uhr