: Koloss auf tönernen Füßen
DGB-KONGRESS Seit Jahren drängen Gewerkschaften auf eine Reform ihres Dachverbandes. Jetzt wird über eine neue Satzung abgestimmt
■ Das Thema: „Arbeit, Gerechtigkeit, Solidarität – 19. Parlament der Arbeit“ – unter diesem Motto findet in Berlin vom Sonntag bis Donnerstag der Bundeskongress des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) statt. Der Leitantrag lautet „Umdenken – Gegenlenken – Die Krise überwinden“ und thematisiert die Wirtschaftskrise. Auch die Forderung nach 8,50 Euro Mindestlohn soll beschlossen werden.
■ Die Personen: Eröffnet wird der Kongress mit Reden vom DGB-Vorsitzenden Michael Sommer, Bundeskanzlerin Angela Merkel und Berlins regierendem Bürgermeister Klaus Wowereit.
■ Die Mitglieder: Mitgliedsgewerkschaften des DGB sind Ver.di, IG Metall, IG BCE, IG BAU, GEW, Transnet, Gewerkschaft Nahrung, Genuss und Gaststätten (NGG), Gewerkschaft der Polizei (GdP).
AUS BERLIN EVA VÖLPEL
Über die Strukturreform des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) wurde seit Jahren erbittert gerungen, nun ist es so weit: Auf dem 19. Bundeskongress des DGB, der am Sonntag in Berlin beginnt, werden 400 Delegierte aus acht Einzelgewerkschaften über den Umbau des DGB abstimmen.
Immer wieder hört man inner- und außerhalb der Gewerkschaften Kritik am DGB: Sein Vorsitzender Michael Sommer sei zu farblos und kompromisslerisch, der DGB gebe zu wenig gesellschafts- und sozialpolitische Impulse, heißt es. So wurden die großen Kampagnen der letzten Jahre, etwa die Forderung nach einem Mindestlohn, in der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di und bei der IG Metall geboren.
Doch daran, dass der Riese DGB auf tönernen Füßen steht, sind die Einzelgewerkschaften nicht schuldlos. Vor allem Ver.di und die IG Metall, die rund 60 Prozent der DGB-Mitglieder stellen, haben wenig Interesse daran, dem Dachverband mehr Profil zuzugestehen. Von der Rolle eines Think Tanks, die der DGB sein könnte, ganz zu schweigen. Grundsatzabteilungen zu So- zial-, Rechts- oder Wirtschaftspolitik existieren doppelt – bei den Einzelgewerkschaften, die sich das leisten können, und beim DGB. „Wer gesellschaftspolitische Impulse setzen will, geht in die Einzelgewerkschaften, da spielt die Musik“, heißt es aus der IG Metall.
Die Zeche zahlt das Mutterschiff: Die Fachabteilungen des DGB bluten personell aus. Hinter vorgehaltener Hand sprechen Gewerkschafter vom „personellen Abstellgleis“ DGB, gar von der „Müllkippe“. Grundsatzarbeit könne kaum geleistet werden.
Der DGB wiederum ist damit beschäftigt, die Interessen seiner Mitgliedsgewerkschaften auszutarieren. Während Ver.di sich eher für dezentrale und lokale Ansätze stark macht, möchte die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) mit ihren Angestellten des öffentlichen Dienstes die Länderebene stärken. Die Bergbau-, Chemie- und Energiegewerkschaft (IG BCE) wiederum bevorzugt die Bundes- und europäische Ebene. Dazu kommt, dass die Gewerkschaften in ihren politischen Forderungen unterschiedlich weit nach links tendieren.
Und dann ist da noch das Geld: Angesichts sinkender Mitgliederzahlen sind es vor allem Ver.di und die IG Metall leid, so viel Geld in die Berliner DGB-Zentrale zu überweisen. 12 Prozent der Mitgliedsbeiträge fließen aus den acht Gewerkschaften zum DGB. Die IG Metall schultert mit rund 51 Millionen jährlich den größten Beitrag. So läuft die Reform auf einen Sparkurs für den DGB hinaus. Den Beitrag für den aus zusätzlichen Mitteln der Gewerkschaften finanzierten Solidaritätsfonds soll der DGB künftig selbst aufbringen und der Bundesvorstand muss von fünf auf vier Mitglieder schrumpfen.
„Es ist ein wirklicher Kompromiss“, zeigt sich Klaus Beck, DGB-Bundesvorstandssekretär, zufrieden. Beck hat die neue Satzung, die im Vorfeld mit den Einzelgewerkschaften abgestimmt wurde, miterarbeitet. „Es ist die unterste Kompromisslinie“, sagt hingegen IG-Metall-Vize Detlef Wetzel. Wetzel droht, es werde nicht ohne Folgen bleiben, wenn die „Mini-Reform“ nicht eins zu eins umgesetzt werde. Und er macht klar: „Die strukturelle Reform des DGB ist noch lange nicht abgeschlossen.“
Auch an der Basis macht sich Unmut breit: Während die Spitzen der Einzelgewerkschaften über zu viel Eigenständigkeit und die Größe des DGB murren, befürchtet man auf den unteren Ebenen die Schwächung und Entdemokratisierung des DGB. „Es droht der Rückzug aus der Fläche“, sagt Sebastian Wertmüller, Vorsitzender der DGB-Region Niedersachsen-Mitte. „Es ist eine Effektivierung“, hält Beck dagegen.
Künftig soll der DGB nur noch auf der Bundes- sowie auf der Bezirksebene, die den Ländern entspricht, mit Hauptamtlichen vertreten sein. Die 66 Regionalstellen werden den Bezirken angegliedert. Regionsvorsitzende sollen künftig nicht mehr gewählt, sondern auf Bezirkskonferenzen von oben bestimmt werden. Dass er sein Wahlmandat verlieren soll, hält Stephan Doll, DGB-Vorsitzender der Region Mittelfranken, für das falsche Signal. „Nur wenn man gewählt ist, spricht man vor Ort mit dem Präsidenten der Handelskammer auf Augenhöhe“, sagt Doll.
Als zweites Reformelement will der DGB die Arbeit in den Kommunen stärken. In möglichst vielen Kreis- und Stadtverbänden sollen Gewerkschafter in Schul- oder Wirtschaftsausschüssen, in Jobcenter-Beiräten, Sozialbündnissen oder Initiativen gegen rechts vertreten sein – allerdings ehrenamtlich. Auch Doll ist dafür, dass der DGB sich stärker im Lebensumfeld der Menschen engagiert. „Aber Ehrenamtliche kann man sich nicht schnitzen“, kritisiert er.
In der DGB-Region Dortmund-Hellweg teilt dessen Vorsitzende Jutta Reiter Dolls Bedenken. „Wir haben hier, und das ist längst nicht überall so, Leute, die tolle ehrenamtliche Arbeit machen. Aber was sollen die denn noch alles leisten?“, fragt sie. Um für den DGB in kommunalen Gremien zu arbeiten, brauche es große Kompetenz. „Da muss viel Geld in die Hand genommen werden, um Leute zu qualifizieren.“ Doch gerade am Geld solle ja gespart werden.