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Archiv-Artikel

Wieder Musik in den Gassen der Stadt

Nur 20 Minuten darf ein Konzert dauern. Dann müssen die Instrumente weiter geschleppt werden. In Köln hat die Straßenmusiksaison begonnen

Auch Comedian Ingolf Lück hatte seine ersten Auftrittserfahrungen vor Freiluft-Publikum in Kölner Gassen

VON JEANETTE SEIFFERT UND FRANK ÜBERALL

Gitarren schrammeln. Den Rhythmus hämmert ein improvisiertes Schlagzeug, dessen Trommelfell aus einer alten Plastikflasche besteht. Die Straßenmusik-Saison hat begonnen und Köln ist das Mekka der freien Künstler. In kaum einer anderen Großstadt musizieren zur Sommerzeit so viele Menschen im öffentlichen Raum – so die einhellige Einschätzung sowohl aus der Szene als auch aus dem Ordnungsamt. Immerhin dabei sind sich Staatsmacht und Straßenmusiker mal einig: Das Verhältnis ist nicht immer spannungsfrei. 20 Minuten darf man an einem Platz spielen, danach müssen die Instrumente zusammen gepackt und mindestens 200 Meter weiter geschleppt werden. „Damit sich Geschäftsleute und Anwohner nicht gestört fühlen“, erklärt Sandra Keller vom städtischen Ordnungsamt. 20 Minuten, das ist Franco Clemens alias Don Franco von den „Magic Street Voices“ zu wenig.

Die Straße sei die schönste Bühne der Welt, sagt Don Franco, der in seiner schludrigen Jeans und der lockeren Lederkappe gerade die Gitarre anstimmt: „Da habe ich gerade mal richtig angefangen, es haben sich ein paar Leute versammelt und es geht los.“ Gemeinsam mit seinen Kolleginnen Crazy (Uta Titz) und Birgit steht er schon seit zehn Jahren auf Kölner Straßen. „Wir brauchen 30 oder am besten 40 Minuten Spielzeit“, fordert Franco. Das will er demnächst mit einer Unterschriftenliste an den Stadtrat publizieren. Darin hat der Sozialpädagoge schließlich Übung. Er hat sich dafür eingesetzt, dass gegen den Willen der Stadtverwaltung das Sammeln von Pfandflaschen aus öffentlichen Abfalleimern wieder erlaubt wurde. Er organisierte ein Soli-Konzert in der besetzten Siedlung im Kölner Stadtteil Deutz mit. „Ich finde es schlimm, dass diese wunderbaren Häuser, die noch so toll intakt sind, so mir nichts, dir nichts abgerissen werden für Oppenheim-Esch oder welches Arschloch da immer hinter steckt“, giftet Klaus der Geiger am Rande seines Auftritts. Auch so ein Kölner Straßenmusiker, der kein Blatt vor den Mund nimmt, obwohl er den Sprung von den Straßen im Schatten des Doms in Fernsehsendungen und wichtigste Konzerthäuser der Republik geschafft hat.

Politisches Engagement ist den Musik-Königen der Fußgängerzonen durchaus nicht unbekannt. Natürlich gibt es auch diejenigen, die die Auftritte bloß als Ersatz für das Betteln ansehen und auf das Geld wirklich angewiesen sind. Andere leben ihr künstlerisches Talent aus, wollen sich aber nicht in den etablierten Kulturbetrieb einfügen. Die Straße ist eben auch die ehrlichste Bühne der Welt: Wem es nicht gefällt, der geht einfach weiter. Die Tradition der Straßenmusik ist in Metropolen durchaus keine neue. Schon im Mittelalter gab es Gesänge, mit denen der Bevölkerung die Neuigkeiten verkündet wurden. Kein Wunder, dass die Stadtverwaltung in Köln einigermaßen tolerant auf die bunten Darbietungen reagiert. Doch es muss auch Regeln geben. Und dazu zählt eben auch die Tatsache, dass man über alles singen kann, nur nicht über 20 Minuten.

Sandra Keller in ihrer blauen Jacke mit dem städtischen Wappen überwacht das mit strengem Blick auf die Armbanduhr. „Ich finde das ja auch schön, wenn ich hier durch bummle und höre gute Musik“, meint die Beamtin. Wenn sie dienstlich unterwegs ist, kann sie aber weder bummeln noch die Rhythmen genießen. Dann ist der Notizblock ihr steter Begleiter. „Ich notiere jetzt, wann ich die Gruppe hier angetroffen haben“, sagt sie dienstbeflissen: Dann könne sie später nachprüfen, ob die auch rechtzeitig den Standort gewechselt haben. 35 Euro Bußgeld kostet das sonst. Wer nicht zahlen kann, bekommt notfalls sogar die Instrumente abgenommen. Wer elektrische Verstärker benutzt – die in Köln grundsätzlich verboten sind – kann auch mit einer „amtlichen Sicherstellung“ rechnen. „Da brauchen wir dann schon einen Kombi und müssen ziemlich schwer schleppen“, meint Keller über den ordnungsbehördlichen Abtransport von Instrumenten und Lautsprecherboxen. Erst am nächsten Arbeitstag der Verwaltung können die so bestraften Straßenmusiker ihr Bußgeld abliefern und ihr Equipment zurück bekommen.

Meist aber kommt es gar nicht so weit. Man kennt sich auf der Straße. Wenn die Kontrolleure um die Ecke kommen, nickt der eine schon wissend, der andere macht sich flugs auf den Weg. Da drückt Kontrolleurin Keller dann auch gerne mal ein Auge zu. Und doch, es gibt sie, die penetranten Nervensägen. Zum Beispiel bewaffnet mit Panflöten und extra lauten Verstärkern, kommen sie sich besonders pfiffig vor, wenn sie mit befreundeten Gruppen die Standplätze immer nur rotierend tauschen. „Das scheint so eine Organisation zu sein, da gibt es etliche von“, stöhnt Frau Keller: „Die haben auch mehrere Verstärker, die tauchen immer wieder auf.“ Da wird das Bußgeld gerne auch ein bisschen höher geschraubt.

Das wiederum können sich nur diejenigen leisten, die ihr musikalisches Engagement in gewisser Weise kommerzialisiert haben. Sie leben kaum noch von den freiwilligen Spenden, die ihnen großzügige Passanten in die aufgestellte Sammelbüchse werfen – sie machen ihren Umsatz hauptsächlich mit selbst produzierten CD‘s. Dass macht Don Franco mit seiner Band zwar auch, doch er hält sich penibel an die Regeln, hat inzwischen einen guten Kontakt zum Ordnungsamt. Er hat eben ein Gefühl für das, was auf der Straße erwünscht ist und was nicht. Mit rockigem Blues oder herzergreifenden Balladen fesseln die magischen „Street Voices“ ihr Publikum. Die Band lebt von ihrer Authentizität. Man merkt, dass man hier nichts Aufgesetztes präsentiert bekommt. Zwischendurch spielen Kinder in der Konzertpause mit den Instrumenten, und Uta Titz alias Crazy gibt bereitwillig Auskunft über ihren Lebensweg, den sie zu einem Roman („Stella Runaway“) verarbeitet hat.

Auch Don Franco mit seiner Gitarrenband hat sich schon so manchen Erfolg erspielt. Ob die Weichen da nicht doch auch ein bisschen in Richtung Karriere gestellt sind? „Gegen Geld verdienen haben wir natürlich nichts“, grinst Don Franco, und Crazy raunt mit ihrer betont zurückhaltenden Art dazu: „Auch wenn das passiert, würde ich immer auch versuchen, weiter Straßenmusik zu machen. Das ist so eine Quelle, aus der man irgendwie viel schöpft.“