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Archiv-Artikel

Kunst und Propaganda

KUNST UND UMWELT Unter dem Titel „Industrial Scars“ zeigt der New Yorker Künstler J. Henry Fair in Bremen beklemmend schöne Bilder über „die Folgen unseres Konsums“

VON ANDREAS SCHNELL

Der Ort ist gut gewählt: Der alte Güterbahnhof, der heute Ateliers und Veranstaltungsräume beherbergt, ist gewissermaßen selbst eine industrielle Narbe. Geschlagen für die Reichtumsvermehrung, die heute keine Verwendung mehr dafür hat. Die Narben, die J. Henry allerdings in der großen Halle der Spedition zeigt, sind kaum geeignet, kreative Blüten zu schlagen wie der ehemalige Güterbahnhof.

„Das erste, was die Besucher fragen, ist, ob die Bilder koloriert sind“, erklärt Gregor Straube, der die Ausstellung nach Bremen geholt hat. Die Antwort lautet „Nein“. Fairs Photographien sind rein dokumentarisch. Wenngleich nicht ohne künstlerischen Blickwinkel. Was da eigenlich zu sehen ist, wenn sich ein rosaroter Strom mäandernd in die Furchen einer Art Wattlandschaft ergießt, erschließt sich nicht ohne Kommentar. Dass es sich dabei um Fäkalien von Schweinen handelt, nämlich, die wegen des massiven Einsatzes von Medikamenten und Hormonen pink eingefärbt sind. Was für die Gewässer, in die sie fließen, und schließlich auch für Menschen verheerende Folgen hat.

Andere Bilder zeigen Abfälle bei der Herstellung von Farbe oder Dünger, beim Braunkohleabbau, Zellstoffabfälle bei der Herstellung von Papiertaschentüchern, teils in nachgerade psychedelischen Farben, gelegentlich wähnt man sich eher auf dem Mars oder einem noch fremdartigeren Himmelskörper als auf der Erde, die euphemistisch auch heute noch gelegentlich als „blauer Planet“ firmiert. J. Henry Fair kennt da noch ganz andere Farben. Giftgrün, Tiefrot, Pechschwarz.

Nun ist die Farbe allein kein Grund zur Panik. Beunruhigend wirkt die Ausstellung, die von einer kleinen Schau in der Arbeitnehmerkammer ergänzt wird, vor allem durch die lakonischen Texttafeln, die den Bildern beigesellt sind. Und durch zusätzliches Material, das auf zwei Computer-Terminals inmitten der Ausstellungshalle der Spedition einsehbar ist.

Hier wird deutlich, was Fair meint, wenn er betont, dass er mindestens ebenso sehr „propagandist“ wie „artist“ sei. Der Photograph, der sein Geld mit Porträts von Musikern verdient, hat eine Botschaft. Wer sich durch die Präsentation klickt, stößt recht bald auf konkrete Vorschläge: „Benutzen Sie Handtücher statt Papierprodukten“, „Bedrucken sie jedes Blatt Papier immer auf beiden Seiten“ oder „Wenn Sie Fleisch essen müssen, essen Sie nur welches von Tieren aus regionalem Anbau, die mit Gras gefüttert wurden“.

Mit Fairs Bildern, erklärt Straube, der die Ausstellung nicht zuletzt aus ökologisch-politischen Gründen nach Bremen holte, „erreicht man ganz andere Menschen als die Wollpulli-Fraktion“. Die und alle anderen haben noch bis zum 27. Mai Zeit, „die Folgen unseres Konsums“ (Untertitel) zu begutachten. Der Eintritt ist frei.

■ Täglich ab 14 Uhr, Spedition im Güterbahnhof