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Archiv-Artikel

„Wie ein Boxer mit verbundenen Händen“

Bei gekürzten Zuschüssen kollabiert der Nahverkehr, sagt Klaus Vorgang vom Verkehrsverbund Rhein-Ruhr

taz: Herr Vorgang, was bedeuten die geplanten Kürzungen für den Nahverkehr in NRW?

Klaus Vorgang: Das wäre ein Desaster. Wir müssten unser Angebot deutlich einschränken. Unsere Fahrgäste aus dem Umland kämen nicht mehr so gut in die Städte und müssten auf das Auto umsteigen. Das würde für sie teurer und würde außerdem zu mehr Staus führen. Auch die Autofahrer profitieren also von den Zuschüssen an den Nahverkehr: Je besser das Angebot an Bussen und Bahnen ist, desto freier sind die Autobahnen.

Wie viel soll denn am Nahverkehr insgesamt gespart werden?

Die Bundesregierung will ihre Zuschüsse für S-Bahnen und Regionalbahnen bis zum Jahr 2010 um 3,3 Milliarden Euro kürzen, also um etwa 14 Prozent. Unsere Kosten für Schienen und Bahnhöfe bleiben aber gleich. Wir müssten also hauptsächlich bei den Verbindungen sparen. Wenn der Plan Realität wird, heißt das: Jeder fünfte Zug im Nahverkehr fällt künftig aus. Und die Züge bringen ja aus dem Umland auch Fahrgäste, die dann in den Städten auf Busse und Straßenbahnen umsteigen. Wenn die Fahrgäste fehlen, kollabiert das Gesamtsystem.

Was unternehmen Sie jetzt dagegen?

An diesem Mittwoch werden die Vorstände und Mitarbeiter der Nahverkehrsunternehmen in NRW, die Verbünde, aber auch Oberbürgermeister und Gewerkschaften die Fahrgäste über die Pläne informieren. In insgesamt 15 Städten stehen wir an Bahnhöfen und großen Umsteigepunkten und sammeln Unterschriften, die wir am 16. Mai in Berlin übergeben werden. Auch über unsere Internetseite www.vrr.de können die Bürger gegen die Pläne unterschreiben.

Glauben Sie, Sie werden mit Ihren Protestaktionen Erfolg haben?

Wir sind guten Mutes, weil wir eine sehr breite Unterstützung haben. Sowohl die Kommunal- und Landespolitiker als auch die Gewerkschaften Transnet und Verdi ziehen mit uns an einem Strang. Zudem ist es unsere einzige Chance, denn Preiserhöhungen im Nahverkehr sind für uns keine Alternative. Kürzungen in diesem Ausmaß könnten wir durch höhere Tarife gar nicht auffangen.

Wo läge denn die Schmerzgrenze bei den Kürzungen?

Wir wissen, dass auch der öffentliche Personen-Nahverkehr seinen Beitrag leisten muss, um die Haushalte aus der Verschuldung zu bringen. Eine Kürzung von fünf bis sieben Prozent könnten wir mit intelligenten Lösungen noch abfedern. Das wäre auch schmerzhaft und würde Verbindungen gerade in den Randbereichen kosten, wäre aber deutlich besser für das Gesamtsystem und nicht so verheerend wie die derzeitigen Pläne.

Warum ist es überhaupt Aufgabe der Bundesregierung, den öffentlichen Nahverkehr zu subventionieren? Sind für derlei Aufgaben nicht eigentlich Länder und Kommunen zuständig?

Vor zehn Jahren hat die Bundesregierung noch Regionalbahnen und S-Bahnen komplett finanziert und organisiert. Dann hat er die Organisation abgegeben, aber es blieb im Grundgesetz bei der Verpflichtung, den Nahverkehr zu finanzieren. Wenn der Bund jetzt die Zuschüsse reduziert, dann müssten Land oder Kommunen einspringen. Aber beide haben das Geld nicht, also bleibt uns nur, unser Angebot einzuschränken. Wir sind da wie ein Boxer im Ring, dem die Hände auf dem Rücken gebunden sind.

INTERVIEW: SEBASTIAN HEISER