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: Nasser Fisch als Geheimwaffe

England wird nicht Weltmeister. Das ist klar. Aber wer ist schuld? Sven-Göran Eriksson? Margaret Thatcher? Oder Zar Nikolaus II.?

Man soll einem Trainer ja auch nicht vor einer Weltmeisterschaft kündigen. Sven-Göran Eriksson, der schwedische Coach der englischen Fußball-Nationalmannschaft, hat sich nun gerächt. Weil er nach der WM in Deutschland auf jeden Fall seinen Hut nehmen muss, selbst wenn England Weltmeister würde, reist er mit einer lustigen Truppe nach Deutschland.

Er hat mit Peter Crouch vom FC Liverpool nur einen einzigen vollwertigen Stürmer im Gepäck. Denn Michael Owen und Wayne Rooney sind verletzt, und der Vierte im Bunde ist Theo Walcott von Arsenal. Der ist eben 17 Jahre alt geworden und hat keine Minute in der ersten englischen Liga gespielt. Eriksson hat ihn noch nie in Aktion gesehen, außer auf Videos. Aber Arsenal-Trainer Arsene Wenger habe Walcott empfohlen. Aber warum hat Wenger ihn dann noch nie eingesetzt? Immerhin hat er Walcott für das englische Trainingslager in Portugal freigegeben. Für das Champions-League-Finale braucht er ihn nicht.

„Ich bin aufgeregt, und das ist gut“, sagte Eriksson, als er das Geheimnis um den Kader lüftete. Die Fußballnation ist auch aufgeregt. Eine Hälfte hält Eriksson für mutig, die andere für verrückt. Auf der Fan-Website „Football365“ heißt es: „Das ist Rock ’n’ Roll. Endlich. Oh Mann, das wird in die Geschichte eingehen. Welch Ironie, dass der Mann, der als größter Langweiler seit John Major galt, ein Aufgebot von solch epischem Irrsinn benannt hat.“ Ein James Bolm aus Wales hat eine andere Meinung dazu: „Um Gottes Willen, schmeißt Eriksson sofort raus“, schreibt er, „der Typ verabschiedet sich mit einem verdammten Zirkus-Team, und es ist ihm scheißegal.“ Walcott sei seine Geheimwaffe, behauptet Eriksson. Ein Sportkommentator bemerkte hämisch: „Wenn man einem arglosen Passanten einen nassen Fisch um die Ohren haut, mag er überrascht sein. Aber es ist keine Geheimwaffe.“

Auf Trinidad und Tobago, Englands Gruppengegner, freut man sich, dass Eriksson den erfolgreichsten englischen Stürmer, Darren Bent von Charlton Athletic, zu Hause lässt. „Jetzt haben sie nur Crouch“, schrieb der Trinidad Express, „und seine Körpergröße beunruhigt uns nicht. Unser Dennis Lawrence ist auch nicht klein.“ In Paraguay, das in derselben Gruppe spielt wie die Engländer, frohlockte man: „Ja, haben die denn keine anderen Stürmer in England?“ Doch, sie haben Owen und Rooney, aber beide sind verletzt. „Das Unbehagen, das Owen im Fuß spürt, kommt von seinem Kopf her“, diagnostizierte Eriksson. Oder kommt es daher, dass Owen sich den Mittelfußknochen gebrochen hat? Rooney hat es ihm prompt nachgemacht. Beide dürfen dennoch mit nach Deutschland, weil Eriksson vor allem Rooney im Endspiel braucht. Als der Wunderstürmer von Manchester United sich verletzt hatte, zogen die englischen Zeitungen zum ersten Mal in Erwägung, dass England vielleicht nicht Weltmeister wird.

Football365 weiß auch, wer daran schuld ist: Margaret Thatcher. Während ihrer Amtszeit als Premierministerin hat sie die kostenlose Milchration in britischen Schulen abgeschafft, und seitdem haben die Kinder spröde Knochen. Man könnte natürlich auch Zar Nikolaus II. die Schuld geben: Er ließ 1905 das Feuer auf demonstrierende Bauern eröffnen, was schließlich zur Revolution und zur Gründung der Sowjetunion führte. Deren Rüstungswettlauf mit den USA ruinierte die sowjetische Wirtschaft, weshalb Boris Jelzin Staatseigentum privatisieren musste. Das wiederum machte einige Leute steinreich, darunter Roman Abramowitsch, der sich den FC Chelsea kaufte. Weil dieser Club nun so stark ist, konnte Manchester United dem angeschlagenen Rooney keine Ruhepause gönnen. Deshalb brach er sich im Spiel gegen Chelsea den Fuß. Und deshalb wird England nicht Weltmeister. RALF SOTSCHECK