: „Mehr Kinder durch Feminismus“
INTERVIEW HEIDE OESTREICH
taz: Die Einführung des Elterngeldes in Deutschland ist von einigem Getöse begleitet. Insbesondere konservative Männer haben sich gegen reservierte Vätermonate ausgesprochen. Gibt es eine solche Debatte auch in Schweden?
Teresa Kulawik: Es gab bei der Einführung der Vätermonate 1995 durchaus eine Diskussion darüber, ob der Staat sich in die familiäre Arbeitsteilung einmischen soll. Aber in den letzten Jahren ist das Bewusstsein sehr stark geworden, dass Männer und Frauen sich die Erziehungsarbeit teilen sollten.
Ist das Bewusstsein durch den sanften Zwang der Vätermonate gewachsen?
Es ist eher eine Generationenfrage und eine der sozialen Schicht. In meinem Umfeld, der Wissenschaft, und in der jüngeren Generation ist etwa völlig klar, dass man die Elternzeit teilt, und zwar so, dass jeder 50 Prozent nimmt. Und interessanterweise haben meine Kolleginnen in Schweden zwei bis drei Kinder. Die deutschen Kolleginnen haben höchstens eines.
Was ist denn die Aufgabe des Staates: Die Familien in Ruhe und Freiheit lassen oder sie mit sanftem Druck in ein egalitäres Verhältnis zu bringen?
Wer heute sagt, der Staat solle sich nicht einmischen, der blendet aus, dass die bislang bestehenden Regelungen enorm normativ gewirkt haben: Das Mutterschafts- oder Erziehungsgeld, und auch das Steuerrecht mit dem Ehegatten-Splitting oder das Unterhaltsrecht. Die Forschung hat längst gezeigt, wie die deutsche Familienpolitik die Erwerbstätigkeit von Müttern behindert. Die Frauen sind in eine Entweder-oder-Situation gebracht worden, die dazu führte, dass immer weniger sich für Kinder entscheiden. Wenn Paare mit einem egalitären Modell wieder Mut finden, Kinder zu bekommen, dann ist es doch gut, solche Anreize zu setzen.
In Schweden wird diskutiert, das Elterngeld völlig zu individualisieren: Vater und Mutter hätten dann jeweils den Anspruch auf die Hälfte des Geldes – ist das gut?
Vor allem die Debatte ist gut: In Schweden sind die Argumente der feministischen Sozialwissenschaft – ganz im Gegensatz zu Deutschland – in der Öffentlichkeit sehr präsent. Worte wie „Geschlechter-Machtordnung“ spricht auch der Ministerpräsident aus, der sich übrigens selbst als Feminist bezeichnet hat. In Deutschland wirken solche Worte geradezu obszön. Durch die Präsenz dieser Analysen sind auch verbliebene Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern sehr viel stärker ins Bewusstsein getreten. Also empfinden es viele als konsequent, wenn nicht nur die Steuern oder das Unterhaltsrecht individualisiert werden, sondern auch der Elterngeldanspruch. Andererseits kann man natürlich fragen, muss der Staat wirklich so starke Normen setzen? Ich bin da unentschieden.
In Deutschland gibt es jetzt bereits Mütter, die sich beklagen, dass der Staat sie in die Erwerbsarbeit dränge. Muss man denen sagen: Der Beruf Mutter war ein Luxusmodell?
Ich glaube nicht, dass man von Luxus sprechen sollte, letztlich war es ein Armutsmodell, das viele Geschiedene und Alleinerziehende in die Sozialhilfe befördert hat. Ich denke, angesichts der Zerbrechlichkeit von Liebes- und Arbeitsbeziehungen in der modernen Welt ist letztlich die einzig mögliche Lebensweise die, in der man für sich selber aufkommen kann.
Das wird in Deutschland als familienfeindlicher Individualismus gebrandmarkt.
Deutschland und Schweden haben sich sehr unterschiedlich entwickelt. Einer der Gründe war die unterschiedliche pädagogische Diskussion. In Deutschland wurde die Forschung an Heimkindern auf die Familie übertragen. Wenn die Mütter nicht da sind, werden die Kinder gestört, leidend, kriminell, hieß es. In Schweden dagegen sagte man, Kinder werden asozial, wenn sie nur mit den Müttern zusammen sind. Dazu kommt, dass die schwedische Frauenbewegung sich stark für den Ausbau öffentlicher Kinderbetreuung einsetzte. In Deutschland dagegen gab und gibt es ein großes Misstrauen gegenüber dem Staat. Die Frauenbewegung setzte auf autonome, das heißt private Kinderläden.
Aber heute ist das doch anders?
Kaum. Heute diskutiere ich mit meinen deutschen Freundinnen, ab wann oder ob man sein Kind in die Kita geben darf. Während meine schwedischen Arbeitskolleginnen nach einem halben Jahr Elternzeit zurückkommen und sagen: Himmel, bin ich froh, wieder da zu sein. Es haben sich verschiedene Selbstbilder entwickelt. Was mir in Deutschland fehlt, ist ein rationaler Diskurs über Familienpolitik. Man nimmt die internationale Forschung allenfalls selektiv zur Kenntnis.
Das soll sich jetzt ja ändern. Kurioserweise tauchen parallel zu einer moderneren Familienpolitik in den Feuilletons Stimmen auf, die das Demografieproblem mit der klassischen Hausfrau und Mutter lösen wollen. Wie kommt das?
Das ist ein alter Kulturkampf. In der Sozialwissenschaft spricht man von einer geteilten Moderne in Deutschland. Auf der einen Seite hat man sich zu einer Industriegesellschaft entwickelt. Andererseits wollte man immer ein Stück der alten Welt bewahren, das den Stürmen der Moderne trotzen soll. Die Familienwerte muss dann die Frau garantieren, während der Mann hinausgeht, um sich in der Globalisierung zu beweisen. Das halte ich für zutiefst undemokratisch.
Inwiefern?
Die traditionellen Familienwerte entstammen letztlich einer vordemokratischen, autoritären Vorstellung von sozialen Beziehungen, die auf Abhängigkeit und Dienstpflicht aufbauen. Menschen, die in einem demokratischen Sinn erzogen wurden, mit Werten wie persönlicher Freiheit, Freiwilligkeit und Gegenseitigkeit, die erreichen Sie mit dieser Debatte gar nicht mehr. Die rollen nur die Augen. Das sind aber die Leute, von denen man nun Kinder möchte. Es geht doch darum, die wachsende Zahl der Männer und Frauen zu erreichen, die sagen: Unter diesen Bedingungen werden wir keine Kinder zur Welt bringen. Es sind ja auch die Männer, die nicht mehr als so genannte Familienernährer fungieren wollen. Sie sind in der heutigen Welt damit überfordert.
Und Schweden redet gar nicht über Familienwerte?
Das ist ja das Spannende. In Schweden geht die staatliche Politik von einer völlig individualisierten Gesellschaft aus. Ich kenne aber kein anderes Land, in dem Kinder einen so hohen Stellenwert haben und die Gesellschaft in ihrer Lebensweise so familienzentriert ist, wie Schweden. Und dieser Familienbezug entsteht hier, gerade weil es eine Orientierung auf das Individuum gibt: Keine Unterhaltsansprüche nach der Scheidung, keine abgeleiteten Sozialansprüche, der Staat verpflichtet die Paare zu nichts. Und die Familien halten zusammen. Und sie kriegen mehr Kinder.
Ist der Zusammenhang mit der Kinderzahl so eindeutig?
Schweden hat seit den Siebzigerjahren durchgängig höhere Geburtenraten als Westdeutschland. Aber es geht auch nicht nur um Demografie: In Deutschland war Familienpolitik immer nur ein Annex. Schweden hat Familienpolitik dagegen immer in einem breiteren Zusammenhang gesehen: mit Bildungspolitik und Wirtschaftspolitik. In Deutschland leidet die wirtschaftliche Entwicklung ja auch unter der Familienpolitik.
Inwiefern?
In Zweiverdienerfamilien wird es finanziell etwas enger, wenn einer arbeitslos wird. In Einverdienerfamilien dagegen, wie Deutschland sie unterstützt, ist Arbeitslosigkeit eine Katastrophe. Und was macht das? Das macht Angst. Und in Deutschland haben wir wirtschaftlich ein Konsumtionsproblem – die Leute sparen, weil sie nämlich Angst haben.
Nun wurde in Deutschland mit dem Elterngeld ein Schritt in Richtung Moderne gegangen. Aber wenn die Mutter aus der Elternzeit zurückkehren will, stellt sie oft fest, dass es keine Kinderbetreuung für ihr einjähriges Kind gibt. Hat man am verkehrten Ende angefangen?
Ich sehe das nicht so negativ. Auch die Schweden haben erst angefangen, ihre Kinderbetreuung auszubauen, als sie das Elterngeld einführten. Möglicherweise schafft man einen stärkeren Druck, wenn die Mütter nun nach einem Jahr nach solchen Plätzen fragen. Auch nach der Qualität von Kinderbetreuung wird nun endlich gefragt. Deutschland gehört zu den wenigen Ländern, in dem die ErzieherInnen keine Hochschulausbildung haben – das berührt eben die Bildungsdiskussion. Diese Verbindungen, die die Schweden immer gesehen haben, werden nun endlich hergestellt.
Mit dem Elterngeld bekommen reichere Paare unterm Strich 25.000 Euro für die Elternzeit, während bei den Arbeitslosen das Erziehungsgeld von bisher 7.200 Euro auf 3.600 Euro Elterngeld zusammengestrichen wird. Ist das gerecht?
Man muss natürlich Übergangsregelungen schaffen für die Leute, die es heute hart trifft. Aber das lange bezogene Erziehungsgeld trägt im Moment dazu bei, dass Mütter lange vom Erwerbsmarkt fernbleiben. Es produziert eine Spirale der Dequalifizierung und der weiteren Arbeitslosigkeit. Es verdrängt Frauen vom Arbeitsmarkt. Wer so ein langes Erziehungsgeld fordert, der hilft den Frauen nur kurzfristig.
Aber der Arbeitsmarkt ist in manchen Regionen Deutschlands schlicht inexistent.
Sie können aber die Arbeitsmarktprobleme nicht mit dem Erziehungsgeld lösen. Die müssen mit Arbeitsmarktpolitik gelöst werden.
Eine Umverteilung von unten nach oben bleibt es dennoch.
Jede Rhetorik, die darauf abhebt, dass man etwas für die armen Familien tun muss, die muss doch als erstes die 20 Milliarden, die im Ehegattensplitting versenkt werden, einklagen. Daher muss das Geld für die Familien kommen, nicht aus einem Einkommensersatz. Zudem untergräbt die Rede von den Bedürftigen soziale Rechte und schafft eine Entsolidarisierung, die längerfristig den Sozialstaat aushöhlt.
Wieso?
Wenn man sagt: „Wir müssen es den Bedürftigen geben“, dann sagen die Besserverdienenden schnell: Das will ich nicht finanzieren. Ich will niedrigere Steuern. In Schweden wissen die Mittelschichtseltern, dass sie Erziehungsgeld bekommen. Die stellen die hohen Steuern natürlich nicht in Frage, damit würden sie sich ja ins eigene Fleisch schneiden. Die Lehre, die man von Schweden mitnehmen kann: Wenn Familienpolitik erfolgreich sein soll, dann muss sie eine Politik sozialer Rechte für alle sein und keine Armenpolitik.