: Stilelement: Lakonik
WHODUNIT Matti Geschonneck inszeniert seinen Krimi „Totenengel“ (20.15 Uhr, ZDF) mit präzise geschriebenen Dialogen, wenig Schauwert-Exotik und wunderbarem Minimalismus
Ein Anruf für den Kommissar: „Du musst kommen. Wir haben einen Toten.“ Nächste Szene: Angucken der Leiche am Fundort. Hat man so schon in Hunderten, wenn nicht Tausenden Fernsehkrimis gesehen. Matti Geschonneck (Regisseur) und Magnus Vattrodt (Buch, zusammen mit Jörg Schlebrügge) sind so lässig und souverän, sie haben es überhaupt nicht nötig, das Genre zu sprengen. Ist es doch viel spannender, die Genreregeln zu respektieren. Zumal, wenn man nicht auf das Krimifach festgelegt ist.
„Totenengel“ ist Geschonnecks zweiter Film mit Peter Haber als dem Amsterdamer Kriminaler Bruno van Leeuwen. Deutscher Film, deutsche Romanvorlage (von Claus Cornelius Fischer), schwedischer Hauptdarsteller, niederländischer Handlungsort. Funktioniert erstaunlich gut, gerade weil die Schauwert-Exotik, anders als bei den deutschen Italien-Krimis, auf kleiner Flamme gehalten wird. Der Film könnte ebenso gut in Hamburg oder Köln spielen.
Die Leiche ist ein Lehrer, dessen Frau in der Klinik im Sterben liegt. Das ist wichtig, weil damit das Mordmotiv zusammenhängt. Und weil der Kommissar eine Vorgeschichte hat. „Frauen, die im Sterben liegen“, sinniert er einmal. In „Eine Frau verschwindet“ war vor einem Jahr zu sehen, wie er seine Frau mehr und mehr an die Demenz verlor. Er erfuhr, dass sie ihn betrogen hatte. Sie konnte sich erinnern. Den aktuellen Stand erfährt der Zuschauer nun von van Leeuwen, unmittelbar bevor der an den Tatort gerufen wird: „Ich habe Simone verloren. Jeden Tag ein bisschen mehr. Jetzt ist sie tot. Meine Frau.“ Der Kommissar ist ein Melancholiker aus gutem Grund. Ein Loner, privat und im Job. Eine Zeugin, die er befragt, hat zur Tatzeit eine Radiosendung gehört: „Läuft jede Nacht von elf bis eins. Ist was für Einsame. So wie Sie.“ Die Kollegen hält er auf Abstand, hüllt sich in Schweigen: „Hat der Chinese irgendwas gesagt?“ – „Kein Wort.“ – „Dann habt ihr euch ja sicher gut verstanden.“
Peter Haber legt van Leeuwen deutlich lakonischer an als seinen tendenziell biederen „Kommissar Beck“. Überhaupt ist Lakonik bis zur Komikgrenze ein bestimmendes Stilelement. Und im Angesicht von TV-Kommissaren, die ständig den Ermittlungsstand dialogisch zusammenfassen müssen, wirken beinahe nihilistische Wortwechsel wie dieser, wieder mit demselben Kollegen, während einer gemeinsamen Autofahrt, höchst erfrischend:
„Es tut mir leid.“ – „Nein, mir tut’s leid.“ – „Ich hab einen Fehler gemacht. Mir tut es leid.“ – „Es war mein Fehler. Entschuldigung.“ – „Ich war ein Ekel.“ – „Ich hätte mit dir sprechen sollen.“ – „Nein. Ich hätte mit euch reden müssen. Euch allen.“ – „Gut, dass wir drüber gesprochen haben.“ – „Ja.“
Das ist präzise geschriebener und inszenierter Minimalismus. Das Team Geschonneck/Vattrodt hat zuletzt für die Filme „Liebesjahre“ und „Das Ende einer Nacht“ Preise abgeräumt, Grimme-Preis inklusive. Völlig zu Recht. Wie man auch hier wieder sieht. Da macht es auch überhaupt nichts, ist eher schon wieder lässig und souverän, dass „Totenengel“ zwar typologisch als Whodunit daherkommt, die Suche nach dem Täter aber nicht allzu spannend ausfällt. Ein Schüler des Toten scheidet schnell als Mörder aus, der Chefarzt der Kliniek (Christian Berkel) wäre eine zu naheliegende Wahl, zumal der Typ genialer Wissenschaftler schon beim vorangegangenen Fall der Täter war. Und irgendwas muss es ja mit dieser omnipräsenten Stimme, mit der immer wieder aus dem Off zu hörenden Radiosendung für Einsame wie den Kommissar auf sich haben.
Lässig und souverän ist schließlich auch die hervorragende Besetzung. Mit Katja Riemann in einer kleinen Nebenrolle. JENS MÜLLER