: „Chiffren der Transzendenz“
SYMPOSIUM Vor hundert Jahren erschien Karl Jaspers Werk „Allgemeine Psychopathologie“
■ 52, leitet seit September 2012 das Zentrum für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik am Klinikum Bremen-Ost.
taz: Herr Zimmermann, reden Sie über den Psychiater oder den Philosophen Jaspers?
Jörg Zimmermann: Beides gehört unbedingt zusammen. Ein guter Arzt sollte den Menschen immer auch aus einer philosophischen Perspektive betrachten, denn ein Mensch ist nicht rein naturwissenschaftlich zu erklären. Jaspers methodologischer Ansatz hat bis heute eine große Bedeutung – vielleicht sogar mehr denn je.
Wieso das?
Weil wir immer mehr herausfinden und immer mehr glauben, alles wissenschaftlich erklären zu können und alles zu wissen. Jaspers hat zum Beispiel in seiner Anatomie-Prüfung verschiedene mikroskopische Methoden benannt, mit denen das Rückenmark betrachtet werden kann – um zu zeigen, dass dabei verschiedene Dinge zum Vorschein kommen.
Eine solche Herangehensweise erschwert aber doch die Möglichkeit, eine zuverlässige Diagnose zu erstellen, oder?
Diagnosen sind Vereinbarungen, mit denen man nach Ursachen suchen kann. Man beschränkt sich dabei auf rein deskriptive Diagnosen. Für Jaspers muss man gleichberechtigt von Mensch zu Mensch in Kommunikation treten und individuelle Therapiemethoden wählen. Deshalb hat er auch die Psychotherapie abgelehnt.
Ist dieser Ansatz denn übertragbar auf alle medizinischen Bereiche?
Ein Radiologe muss natürlich zwangsläufig viele Dinge technischer sehen als andere Ärzte, aber im Prinzip: ja. Es gibt natürlich immer soziale und vor allem ökonomische Zwänge, die dem im Wege stehen. Jaspers Buch „Der Arzt im technischen Zeitalter“ ist da erstaunlich aktuell, auch wenn er es vor über fünfzig Jahren geschrieben hat.
Fühlt sich der eine oder andere Ihrer Kollegen nicht angegriffen, wenn Sie den Wert naturwissenschaftlicher Erkenntnisse in Frage stellen?
Nein, denn vielfach wird das innerhalb unseres materiellen Weltbildes ja erst gar nicht reflektiert. Ich denke, es ist hochinteressant, wenn man sich vor Augen führt, dass die Chiffren der Transzendenz, wie Jaspers es genannt hat, vernachlässigt werden – und er war kein Spinner oder Esoteriker! Jaspers kann daran erinnern, dass ein Arzt nicht nur Techniker, sondern auch Seelsorger ist. Interview: SCHN
Vortrag „Karl Jaspers als Psychiater und Philosoph“: 18.30 Uhr, Haus im Park am Klinikum Bremen-Ost.
Symposium: 7. bis 9. 11. in Oldenburg und Bremen. Informationen: www.gesundheitnord.de