„Kulturell wertlos“

1943 hat die Norddeutsche Affinerie den Anordnungen der Nationalsozialisten getrotzt und Bronzefiguren aus dem Reichstag vor dem Einschmelzen gerettet. Nach dem Krieg wollte sie niemand haben, schließlich landeten sie im Depot. Jetzt möchte das Unternehmen sie nach Hamburg zurückholen

Die Bronzen fristen ihr Dasein verpackt in einem Magazin im Berliner Stadtteil Treptow

von Friederike Gräff

Es ist nicht so, dass die Mitarbeiter der Norddeutschen Affinerie die Figuren für große Kunst hielten. „Wir haben keine Vorstellung davon, ob sie künstlerisch wertvoll sind“, sagt Franz Wauschkuhn, der Sprecher der Kupferhütte. Aber dass der Reichstag die zwölf Bronzefiguren, die Mitarbeiter der Hütte im zweiten Weltkrieg vor dem Einschmelzen bewahrt haben, seit Jahren in einem Magazin lagert, das leuchtet der Affinerie nicht ein. Deshalb hat der Vorstand jetzt den Bundestagspräsidenten gebeten, die Figuren der Affinerie als Dauerleihgabe nach Hamburg zu geben.

Kürzlich war eine Delegation der Kupferhütte in Berlin-Treptow, wo ein Mitarbeiter der Sammlung des Deutschen Bundestags die zwölf Holzkisten für sie geöffnet hat. „Man war sehr freundlich“, sagt Franz Wauschkuhn über den Besuch in Berlin. „Wir sind nicht gekränkt.“ Die Gebühr, die die Depotführung kostete, habe die Affinerie durchaus verkraften können. Aber wenn man den Text liest, den er danach geschrieben hat, klingt es nach einem Werben um Aufmerksamkeit, das zu lange ohne Echo blieb.

„Die Bronzen fristen ihr Dasein verpackt in einem Magazin im Berliner Stadtteil Treptow“, heißt es dort, und das „verpackt“ klingt so, als habe man sie doppelt weggeschlossen. Und es ist vermutlich dieses Wegschließen, das die Affinerie nicht länger hinnehmen will. Wozu den Anordnungen der Nationalsozialisten trotzen, wenn das, was man gerettet hat, für die Öffentlichkeit danach gar nicht mehr wahrnehmbar ist?

Eingewickelt in Noppenfolie sind: Ulifas, Bonifazius, Roland, Eginhard, Erzbischof Bruno von Köln, Markgraf Gero sowie Hermann Billung, Reinhold von Dassel, Otto von Wittelsbach, Albertus Magnus, Hermann von Salza und Martin Luther. Vermutlich waren sie 1894, als sie der Architekt des Reichstags, Paul Wallot, zur Eröffnung bei dem Berliner Bildhauer August Vogel in Auftrag gab, bekannter als heute. Ritter, Missionare und Herzöge, die man in einem relativ jungen Staat gern als Gründerväter heranzog.

1947 hat die Abteilung „Monuments, Fine Arts and Archives“ der britischen Militärregierung die Bronzefiguren als „kulturell wertlos“ eingestuft. Es sind düstere Figuren mit Panzerhemden und Schwertern oder Ornat und Zepter, und auch die Kirchenmänner unter ihnen sehen wenig freundlich aus. Den Nationalsozialisten war das einerlei. 1942 schickten sie Kirchenglocken ebenso wie Bronzefiguren religiösen und nicht religiösen Ursprungs zum Einschmelzen nach Hamburg. Doch die Mitarbeiter der Affinerie verschmolzen die Figuren nicht zu Granatenmaterial, sondern verschifften sie über den Elbe-Trave-Kanal, wo sie sie in einer Wiese vergruben. Nach dem Krieg gelangten die Glocken und Figuren wie die beiden Löwen vor der Kaiserpfalz in Goslar wieder zurück an ihren Ursprungsplatz.

Aber an den Bronzefiguren aus dem Reichstag zeigte niemand Interesse. Weder die Alliierten noch später die Bundesbaudirektion, die mit dem Wiederaufbau des Reichstags beauftragt war, wollten die Figuren zurück nach Berlin bringen. Der Kostenaufwand für eine Wiederherstellung des Leuchters sei zu groß, schrieben die Beamten. „Man habe keine Bedenken“, die Einzelteile des Leuchters jetzt einschmelzen zu lassen.

Die Affinerie blieb hartnäckig. Sie schrieb erneut an die Reichstagsverwaltung. 1982 reiste die damalige Vizepräsidentin des Bundestages, Annemarie Renger, nach Hamburg, noch im selben Jahr wurden die Figuren in den Gängen des Reichstagsgebäudes aufgestellt. Franz Wauschkuhn schreibt, sie seien „von Besuchern viel bestaunt und photographiert“ worden. Dennoch wurden sie nach dem Umbau des Reichstags, der 1999 abgeschlossen war, nicht wieder aufgestellt.

Andreas Kaernbach findet, dass sieben Jahre im Depot ein durchaus überschaubarer Zeitraum für ein Stück aus einer Kunstsammlung sind. Kaernbach ist Kurator der Sammlung des Bundestages und Sekretär des Kunstbeirats. Nicht er, sondern der Bundestagspräsident und der Kunstbeirat beschließen, ob die Affinerie die Figuren als Dauerleihgabe erhält. Die wollten bis Ende der Woche entscheiden, vorher äußern sie sich nicht. Kaernbach ist sicherlich eine Stimme im Haus, die gehört wird.

„Es ist grundsätzlich denkbar, Stücke zu verleihen, jedenfalls an Institutionen“, sagt er. „Aber damit tut man sich erst einmal schwer. Bevor man etwas weg gibt, denkt man darüber nach, ob man es nicht selber zeigen könnte“. Zurzeit ist im Bundestag nur zeitgenössische Kunst von Künstlern wie Jenny Holzer und Georg Baselitz zu sehen. „Kunstwerke, die sich dezidiert mit deutscher Geschichte und der Geschichte des Parlamentarismus in Deutschland auseinandersetzen.“

Der Ulifas von August Vogel würde da eher aus dem Rahmen fallen. Und das 19. Jahrhundert, so sagt Kaernbach, sei ja schon durch den originalen Bauschmuck vertreten.

Aber die Kunst ist Moden unterworfen und so wie sich lange niemand vorstellen konnte, dass die Werke der 50er Jahre wieder Anklang finden würden, könnte es ja auch der Kunst des späten 19. Jahrhunderts ergehen. Kaernbach erzählt von den schlechten Erfahrungen der britischen Museen, die sich von ihrer viktorianischen Kunst trennten. Er klingt nicht so, als wolle er ähnliches erleben.

Dabei möchte die Affinerie nicht kaufen, sondern leihen.

Andreas Kaernbach sieht Bonifazius, Luther, Ulifas und Eginhard mit einem sachlichen Blick. Der sei bei einem Kurator notwendig. „Ich halte es mit Ranke“, sagt er. Ranke, der preußische Historiker, hat gesagt: „Jede Epoche ist unmittelbar zu Gott.“ „Es ist interessant, wie jede einzelne Epoche sich künstlerisch ausgedrückt hat“, so sagt es Kaernbach.

Bei der Affinerie zeigt man mehr Gefühl, aber nicht zu viel, um nicht den Beirat und den Bundestagspräsidenten zu verstimmen, der vorsichtig positive Signale gesendet habe. „Es ist staatsbürgerliches Empfinden, etwas für die Kultur zu tun“, meint Franz Wauschkuhn. In Deutschland fehle es an Museen, die sich für Bronzegießkunst interessierten. Deswegen unterstützt die Affinerie, die schließlich 140 Jahre Erfahrung mit Bronze und Kupfer hat, einen Kupferkünstler, deswegen schenkt sie den Hamburger Kirchen neue Kupferdächer, deswegen möchte sie in ihrer Veranstaltungshalle Platz machen für die Bronzefiguren. „50.000 bis 60.000 Menschen kommen da pro Jahr hin“, sagt Franz Wauschkahn. 50.000 bis 60.000 Menschen, die Ulifas, Bonifazius, Roland, Eginhard und all die anderen sehen können. Noch denkt der Kunstbeirat darüber nach.