: Die Tram ist Ossi geblieben
Die BVG feiert den 125. Geburtstag der Berliner Straßenbahn. Die Tram machte im Ost- und Westteil der Stadt unterschiedliche Karrieren. Obwohl sie als leistungsstark und umweltfreundlich gilt, ist ihre Zukunft mehr als ungewiss
Die Ur-Tram war eine beeindruckende Erscheinung: Ernste Herren mit Schiebermützen drängten sich in dem doppelstöckigen Gefährt, ganz vorn stand der Zugführer im Freien, direkt hinter der Antriebseinheit. Diese besaß damals exakt 2 PS. Die Berliner Pferdetram fuhr 1902 zum letzten Mal durch die Stadt, die elektrische Straßenbahn hatte ihr längst Konkurrenz gemacht.
Die Firma Siemens & Halske ließ die Elektrische vor 125 Jahren, am 16. Mai 1881, erstmals durch Lichterfelde kurven. Seitdem gehören ihre Nachfolger ins Berliner Stadtbild, mal mehr, mal weniger (Chronologie siehe Kasten). Im Nahverkehr bietet die Tram viele Vorteile: Sie befördert mehr Fahrgäste als der Bus, sie fährt ruhig und ruckelfrei, sie lässt, anders als der Bus, keine Abgase hinter sich, und beim Bau ist sie 20-mal günstiger als eine U-Bahn.
Nach dem Krieg machte die Tram in beiden Hälften der Stadt ganz unterschiedlich Karriere. Im Westteil ließ die BVG bis 1967 rund 366 Kilometer Gleise aus dem Pflaster reißen. Die Straßenbahn hatte ausgedient, um „im Sinne des neuzeitlichen Straßenverkehrs … dem schnellen, beweglichen Autobus den Vorzug zu geben“, wie ein BVG-Direktor Mitte der 50er schrieb.
Ganz anders im Ostteil der Stadt. Zwar ließ die BVG-Ost bis in die 70er Strecken stilllegen – auch der Osten träumte von der autogerechten Stadt. Doch dann erlebte die Bahn, die einheimische Energieträger wie Braunkohle nutzen konnte, wegen der Ölkrise eine Wiederbelebung. Bis 1991 entstanden neue Strecken, zum Beispiel in die Neubaugebiete Marzahn und Hohenschönhausen. Sie beförderte bis zu 600.000 Menschen am Tag.
Nach der Wende hat es die Tram kaum in den Westen geschafft. Wer sich den bunten Streckenplan anschaut, sieht: Die Tram ist Ossi geblieben. Nur im Wedding fährt sie seit 1995, andere Planungen wurden nie verwirklicht. Bald gibt es kleinere Vorstöße: Zum Fahrplanwechsel am 28. Mai nimmt die BVG das Teilstück der M 10 von der Eberswalder Straße bis zum Nordbahnhof in Betrieb. Wenn der Ausbau der Invalidenstraße 2009 fertig ist, soll sie bis zum neuen Hauptbahnhof fahren.
Während die BVG in diesen Tagen den runden Geburtstag der Straßenbahn feiert, fürchten Kritiker, dass sich innerhalb der Verkehrsbetriebe die Tram-Gegner durchsetzen. Vorstandschef Andreas Sturmowski gibt sich als nüchterner Rechner, Abschnitte des Tramnetzes müssten „geprüft“ werden, hieß es. Die bekannte Schmöckwitzer Uferbahn wird geschlossen. Ingolf Berger von der Initiative Pro Tram kritisiert die „Einstellung ohne Einwilligung des Senates“. Eine Erschließung mit Bussen sei nur teilweise möglich, sagt er: „Wesentliche Ziele werden abgehängt. Gerade im Freizeitbereich hat die Strecke großes Potenzial.“ ULRICH SCHULTE
Am Sonntag feiert die BVG mit einem Tag der offenen Tür. Infos: www.bvg.de