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Archiv-Artikel

Endstation für eine Legende

Seit beinahe 100 Jahren fährt die Straßenbahn 68 zwischen Köpenick und Schmöckwitz. Die Strecke entlang des Langen Sees gilt als die schönste Berlins. Doch die Tram rollt nur noch einen Sommer

VON SILKE KOHLMANN

Bei Abfahrt sind beide Straßenbahnwagen voll besetzt – Schüler mit großen Schultaschen, Omas mit gefüllten Einkaufskörben, Arbeiter in blauen Latzhosen, Mütter mit Kinderwagen belegen die Sitze mit Seeblick. Auf einem der Plätze lässt sich ein alter Mann nieder. „Eine Schweinerei“, schimpft er. „Das ist doch die schönste Strecke Berlins.“ Aber nicht mehr lange. Zwar fährt in diesem Sommer nochmal die Tram, versichert BVG-Sprecherin Petra Reetz. Aber spätestens im nächsten Jahr werde sie durch Busse ersetzt.

Seit 1912 schlängelt sich die Straßenbahn mit der Nummer 68, früher 86, am Ufer des Langen Sees entlang. Vom S-Bahnhof Köpenick kommend, summt die Tram alle zwanzig Minuten nach Schmöckwitz. Noch, denn zumindest zwischen den Haltestellen Strandbad Grünau und Alt-Schmöckwitz soll der Bahnbetrieb eingestellt werden.

„Die sollen mal oben einsparen, dann klappt das auch weiterhin mit der Tram“, wettert der Rentner. Doch die Berliner Verkehrsbetriebe könnten es sich nicht leisten, eine nicht ausgelastete Strecke nur wegen ihrer Schönheit weiter zu betreiben, erklärt Reetz. Die Tram sei ein hoch effizientes Verkehrsmittel – wenn sie ausgelastet ist. „Die Straßenbahn ist auf einigen Strecken unschlagbar. Aber in Schmöckwitz ist sie ein Luxus geworden“, sagt Reetz.

Ein Luxus, an den sich der alte Herr gewöhnt hat. 25 Jahre schon nutzt er die 68. Darum kennt er sich auch mit den Baumaßnahmen auf der Strecke aus. „Die Stromleitungen sind ja erst neu gemacht worden.“ Reetz sieht allerdings Kosten in noch größerer Höhe auf die BVG zukommen: „Die Strecke müsste für etwa 4 Millionen Euro saniert werden“, erklärt sie. „Das wären Investitionen, die sich langfristig nicht lohnen.“

Die Bahn erreicht unterdessen das Strandbad Grünau. Hier soll künftig Schluss sein. Inzwischen ist die Hälfte der Fahrgäste ausgestiegen. Im hinteren Teil des Wagens hat es sich ein Ehepaar bequem gemacht. Beide tragen feste Schuhe, einen Rucksack in der Hand. „Wir sind traurig, dass die Bahn bald nicht mehr fahren soll“, sagt die Frau. Jede Woche kommen die beiden aus Lichtenberg, fahren bis zur Endstation Alt-Schmöckwitz und beginnen dort ihre Wanderung durch den Wald. „Das Schöne bei der Straßenbahn ist natürlich, dass man so nah am Wasser vorbeifährt“, erklärt ihr Mann.

Laut BVG nutzen die Tram täglich im Schnitt 1.000 Fahrgäste . „Zu wenig“, sagt Petra Reetz. Erst ab 5.000 Nutzern sei die Bahn rentabel. Ein jugendlicher Passagier kann das nicht glauben. „Wenn ich morgens zur Schule fahre, ist die Bahn randvoll.“ Dass die Tram besser durch den Bus ersetzt werden sollte – davon ist er nicht überzeugt: „Wo soll der denn fahren? Da müssten ja die Gleise rausgerissen werden und erst eine Straße gebaut werden.“ Die BVG hält den Bus allerdings für die bessere Lösung in Schmöckwitz. „Er könnte hier gebietsbezogener eingesetzt werden und Orte anfahren, die die Straßenbahn nicht erreicht.“

Die Tram nähert sich Schmöckwitz. Auf einem Teil der Strecke führen die Gleise direkt am Langen See entlang, nur durch einen Rad- und Wanderweg vom Wasser getrennt. Die großen Fenster geben den Blick auf das Ufer, den glitzernden See und die gegenüberliegende Heide frei. Ein Blick, den es so in Zukunft nicht mehr geben soll.