: 100 Milliarden Euro für Europa
Befürworter: Die neue Finanzmarktsteuer würde den Staaten viel Geld bringen. Die Bundesbank warnt
BERLIN taz | Um Staatspleiten in der Eurozone zu verhindern, stellen die Regierungen 750 Milliarden Euro bereit. Trotzdem wetten Finanzinvestoren weiter auf den Staatsbankrott. Als Gegenmaßnahme ist die Finanztransaktionsteuer im Gespräch.
1. Wie würde die Finanztransaktionsteuer funktionieren?
Die Idee besteht darin, möglichst viele Finanzgeschäfte mit einer neuen Steuer zu belegen. Die Befürworter – in Deutschland vor allem die SPD, die Grünen, die Linke und kritische Ökonomen – verfolgen zwei Ziele. Einerseits wollen sie gefährliche Finanzgeschäfte bremsen, andererseits zusätzliche Einnahmen für die verschuldeten Staaten generieren. Nach einem Modell des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (Wifo) würden alle Geschäfte mit Aktien, Währungen, Kreditversicherungen oder anderen Wertpapieren besteuert. Läge der Steuersatz bei 0,01 Prozent pro Transaktion, nähme die EU bis zu 38 Milliarden Euro pro Jahr ein. Ein Steuersatz von 0,05 Prozent brächte bis zu 95 Milliarden Euro. Ein Modell, das sich in den internationalen Debatten als aussichtsreich herauskristallisiert hätte, existiert aber noch nicht.
2. Wer würde die Steuer zahlen – die Banken oder wir alle?
Das Wifo schlägt vor, nur Geschäfte zwischen professionellen Anlegern, also Banken, Fonds oder Versicherungen, zu belasten. Unterzeichnet ein privater Eigentümer dagegen einen Immobilienkredit, überweist die Besitzerin eines Girokontos eine Rechnung oder erhält eine Firma ein Darlehen für eine Investition, so würden diese Transaktionen nicht besteuert. Die Bundesbank argumentiert dagegen, dass die Privatbanken zumindest einen Teil der neuen Steuer auf die Privatkunden abwälzen könnten. Die Institute könnten ihre höheren Kosten beispielsweise finanzieren, indem sie ihren Kunden höhere Gebühren in Rechnung stellten.
3. Könnte die Transaktionsteuer ihren Zweck erfüllen?
Höhere Staatseinnahmen würde die Steuer in jedem Fall erbringen. Das Gerechtigkeitsproblem ließe sich damit teilweise lösen: Die Banken und Investoren, die die Finanzkrise verursacht haben, würden an den Kosten beteiligt. Darüber, ob die Steuer die Finanzmärkte auch regulieren kann, gehen die Meinungen allerdings auseinander. Die Befürworter argumentieren, viele Transaktionen, die auf minimalen Gewinnmargen aufbauen, würden uninteressant, weil die Steuer diese Gewinne auffresse. Selbst ein Steuersatz von 0,01 Prozent werde schon dazu führen, dass das Geschäftsvolumen um bis zu 35 Prozent abnehme, rechnen Stephan Schulmeister und Margit Schratzenstaller vom Wifo. Dagegen befürchtet die Bundesbank, dass der Markt „volatiler“ werde, wenn sein Volumen abnehme. Soll heißen: Einzelne, risikobereite Investoren können mehr Schaden anrichten, wenn weniger Anleger auf dem Markt sind.
4. Wie realistisch ist die Einführung der Finanzsteuer?
Das Realisierung ist offen. In Staaten wie Frankreich, Belgien und Österreich gibt es Sympathie. Die US-Regierung ist unentschieden, der Internationale Währungsfonds rät ab. Damit die Steuer einen Sinn habe, müssen nach Einschätzung des Wifo in Europa mindestens Deutschland und Großbritannien mitmachen. Verweigerte London seine Zustimmung, könnte es zu Ausweichreaktionen kommen. Würde die Steuer beispielsweise nur in Frankfurt erhoben, könnte sie etwa die Deutsche Bank leicht umgehen, indem sie mehr Geschäfte in London abwickelte.
5. Ist die Bankenabgabe besser?
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat sich für die Bankenabgabe ausgesprochen, weil sie im Konsens mit den USA, Frankreich und Großbritannien leichter umsetzbar sei. Die Abgabe würde wie eine Versicherung funktionieren: Gemessen an ihrem Geschäftsrisiko würden die Institute in einen Fonds einzahlen, um Kapital für die Bewältigung der nächsten Krise anzusparen. Nachteil: Die vergleichsweise geringen Einnahmen ließen sich nicht für die Finanzierung der aktuellen Krise verwenden. Die Befürworter der Finanzsteuer argumentieren, man solle beide Instrumente kombinieren.
6. Welche Regulierung ist darüber hinaus notwendig?
Die Regierungen müssten bestimmte Spekulationsgeschäfte, die Staaten destabilisieren, verbieten, Ratingagenturen beaufsichtigen und den Banken vorschreiben, mehr Eigenkapital für den Notfall zu halten. Seit Ende 2008 ist darüber viel diskutiert, aber bisher wenig verwirklicht worden. HANNES KOCH