: Zuckersüße Alternative zu Benzin
In der EU soll Ethanol in den Tank, wenn auch vorerst nur als Beimischung. Ein Blick nach Brasilien zeigt, wie der Biosprit als Alternative zu fossilen Brennstoffen funktioniert. Hier erkennen manche Fahrzeuge mittels einer Sonde, was gerade im Tank ist
VON KLAUS SIEG
„Als das Auto mit dem neuen Motor auf den Markt kam, musste ich nicht lange überlegen.“ Moacyr steuert seinen blitzblanken Wagen durch den dichten Verkehr von São Paulo. Auf sechs Spuren wälzt sich die Blechlawine über die Stadtautobahn in Richtung Süden.
Moacyr betreibt einen Fahrdienst, mit dem er vor allem Firmenkunden kutschiert. Sein Betriebskapital besteht aus einem Mobiltelefon, einem dunklen Anzug und einem „Meriva“ von General Motors. Seit kurzem wird der Wagen mit einem Motor angeboten, der mittels einer Sonde erkennt, welcher Kraftstoff im Tank ist. Das Motormanagement stellt dann Zündung und Einspritzung entsprechend ein. Moacyr kann so Ethanol tanken, Benzin oder ein Gemisch aus beidem. „Ich spare fast die Hälfte an Treibstoffkosten, wenn ich Ethanol tanke – ohne darauf festgelegt zu sein“, freut sich der freundliche Moacyr.
Auch im Amazonasstaat sind die Preise für fossile Brennstoffe rasant gestiegen. Der Sprit aus Zuckerrohr schont neben dem Portmonee außerdem die Umwelt. Beim Verbrennen von Ethanol entweicht weniger Kohlendioxid in die Atmosphäre als bei Mineralölkraftstoffen. Auch der Ausstoß anderer Schadstoffe reduziert sich. Deshalb wird Bioethanol als Treibstoff seit kurzem auch in Deutschland und der Europäischen Union gefördert. Was hier aber bisher noch in den Kinderschuhen steckt, feiert in Brasilien großes Comeback. Über drei Millionen Autos fahren in Brasilien ausschließlich mit dem Pflanzensprit. Bei den Neuzulassungen sind es sogar zwei Drittel aller Wagen. Der Rest der 17 Millionen brasilianischen Pkw fährt mit Benzin, dem zwischen 20 und 24 Prozent Alkohol beigemischt wird. Schon einmal hatte in Brasilien Ethanol fossile Treibstoffe für Pkw fast völlig verdrängt: 1984 liefen knapp 95 Prozent aller in Brasilien produzierten Neuwagen mit einem Ethanolmotor. Der Startschuss für die enorme Produktion von Treibstoffalkohol fiel infolge der beiden Erdölkrisen der 70er-Jahre. Als die Erdölpreise in den 80er-Jahren sanken, geriet die Produktion von Treibstoffalkohol aber unter Druck. Gleichzeitig stiegen die Zuckerpreise. Die brasilianischen Zuckermühlen stellten ihre Produktion wieder auf das weiße Gold um. Ethanol wurde knapp. Ein Desaster für Autofahrer, die sich für ein Ethanol-Modell entschieden hatten.
Doch die Einführung des Flex-Fuel-Motors, der sowohl mit Alkohol als auch mit Benzin läuft, scheint die aus dem Desaster gewachsenen Bedenken der brasilianischen Autofahrer zerstreut zu haben. Außerdem gibt es mittlerweile landesweit rund 25.000 Tankstellen, die Ethanol anbieten. In großen Städten und auf weiten Teilen des Landes ist die Versorgung flächendeckend.
„Zurzeit ist die Nachfrage nach Ethanol riesig.“ José Leda Neto, Direktor von USJ Acucar e Álcool in São João, rührt den dritten Löffel Zucker in seinen Kaffee. Brasilianer trinken ihren kleinen Schwarzen gerne süß. Rund vier Millionen Tonnen Zuckerrohr im Jahr verarbeitet USJ Acucar e Álcool. Der Weg zu dem Werk im Bundesstaat São Paulo führt durch Zuckerrohrfelder, die bis an den Horizont reichen. Lastwagen donnern vorbei, voll beladen mit einem wuchernden Gestrüpp aus schwarzem Zuckerrohr. Im Werk pressen riesige Walzen den braunen Saft aus den Pflanzen. Zur Gewinnung von Zucker wird der Saft erhitzt. Übrig bleibt eine dunkle Melasse, die zunächst gegoren und dann zu Ethanol in zwei unterschiedlichen Reinheitsgraden destilliert wird. Alle 300 Zuckermühlen im Staat São Paulo nutzen so ihre Melasse. „Wir können innerhalb von zwei Tagen unsere Produktion umstellen und nur noch Alkohol produzieren“, erklärt José Leda Neto.
Die Potenziale für Ethanol sind in Brasilien gewaltig. Aus der letzten Ernte haben Brasiliens Zuckermühlen rund 15 Milliarden Liter Ethanol gewonnen. Damit ist aber noch lange nicht das Ende der Fahnenstange erreicht. Nach Angaben der Unica, der Vereinigung der Zuckerrohindustrie São Paulos, wird Zuckerrohr erst auf einem Prozent der Ackerflächen Brasiliens angebaut. Das entspricht mit 4,5 Millionen Hektar fast einem Fünftel der Fläche Großbritanniens. Doch der Anbau von Zuckerrohr ist nicht unproblematisch. Neben Baumwolle und Reis ist Zuckerrohr eine der bewässerungsintensivsten Kulturpflanzen. Der großflächige Anbau kann zu Bodenerosion führen. Außerdem besteht die Gefahr, dass Regenwald abgeholzt wird, wenn neue Flächen für den Zuckerrohranbau erschlossen, also nicht schon bestehende umgenutzt werden.
Trotz des Booms im eigenen Land exportiert Brasilien einen Teil seines Ethanols – vor allem nach China, Japan und in die USA. Immer lauter klopft der Amazonasstaat derweil an die Türen der Europäischen Union. Der europäische Markt ist attraktiv – spätestens seit die Zielmarke ausgegeben wurde, dass Biotreibstoffe bis 2010 einen Anteil von 5,75 Prozent haben sollen. Mit etwa 20 Eurocent pro Liter kostet das brasilianische Ethanol nur rund ein Drittel des europäischen Alkohols. Doch Kritiker befürchten, die billige Konkurrenz könnte die noch spärliche europäische Ethanolproduktion gefährden.
Als Moacyr seinen Wagen wieder in Richtung São Paulo lenkt, ist es bereits dunkel. Erntemaschinen arbeiten auf den Zuckerrohrfeldern im Licht ihrer Scheinwerfer. Andere Felder werden gerade abgebrannt. Die Brände belasten Luft und Atmosphäre. Dann fährt der Wagen an einem Camp der Landlosenbewegung vorbei. Mit Transparenten weisen die Besetzer darauf hin, dass in Brasilien nach wie vor die meisten Landwirtschaftsflächen in der Hand von einigen wenigen Großgrundbesitzern sind. Auch das gilt es zu bedenken bei der Diskussion um die Einfuhr von Ethanol aus Brasilien in Europa.