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Archiv-Artikel

„Polizei, bitte aufmachen!“

VERBOTSZONE Um die Straßenprostitution einzudämmen, gilt in Hamburg-St. Georg ein „Kontaktverbot“: Freier, die erwischt werden, müssen Strafe zahlen. Wenn sie erwischt werden

Zwei Minuten gibt Christian Björndahl der Hure und ihrem Freier. Es sind die Minuten, die alles entscheiden. Er wartet auf den letzten Beweis.

Dann hämmert Björndahl an die Tür. Acht Mal. Jeder Schlag hallt durch den Flur des Hotels im Hamburger Stadtteil St. Georg. Graue Fliesen, schmierige Tapete und ein billiger Matisse-Kunstdruck.

„Polizei, bitte aufmachen!“

Aus Zimmer 282 dringt Gemurmel. Björndahl, 38, und seine Kollegin Birte Monien, 37, haben ihre Ausweise gezückt; sie lehnen am Türrahmen und warten. Das Schloss klickt, die Tür öffnet sich. „Hallo, guten Tag.“ Björndahl postiert sich direkt vor dem Mann, der die Tür öffnet. „So, wegen Verstoß gegen die Kontaktverbotsverordnung ist das Ganze hier eine Ordnungswidrigkeit.“

„Ähm, Moment. Es ist doch gar nichts passiert“, sagt der Freier. Er knöpft seinen Mantel zu. Eine blaue Krawatte baumelt über dem weißen Hemd. Der Mann, Mitte 40, rundes Gesicht, Igelfrisur, ringt um Worte und schaut sich hektisch um. Auf der Matratze liegt ein rotes Handtuch, auf dem Nachttisch zwei Geldscheine, 30 Euro.

Er verstummt.

„Ja, es ist noch nichts passiert, richtig“, entgegnet Björndahl. Er zieht ein Notizheft aus der Hosentasche und verlangt den Ausweis des Mannes. „Muss ja auch nicht. Sie haben auf der Straße das Angebot für Sex auf dem Zimmer angenommen. Das ist verboten.“

Der Mann ist überführt. Die Prostituierte auch. In den kommenden Wochen werden beide ein Schreiben der Polizei bekommen – eine Ordnungswidrigkeitsanzeige und jeweils 225 Euro Strafe erwarten sie.

Die Polizisten Björndahl und Monien sind an diesem Tag in Zivil unterwegs. Ihre Aufgabe: die öffentliche Prostitution im Stadtteil verhindern. Auch wenn der Stadtteil schon seit 1980 Sperrgebiet ist, gehen noch immer viele Frauen auf den Straßenstrich neben dem Hauptbahnhof. In den vergangenen Jahren haben die Beschwerden der Anwohner zugenommen; sie fühlten sich belästigt.

„Mittlerweile ist es besser geworden, aber es dürften noch immer um die 300 Frauen, die wir kennen, auf der Straße sein“, sagt Björndahl. Im Januar 2012 erließ der Hamburger Senat deshalb eine Kontaktverbotsverordnung. Seitdem können nicht nur die Frauen bestraft werden, weil sie sich in einem Sperrgebiet prostituieren, sondern auch die Freier. Das strikte Verbot ist eines von vielen Mitteln, um St. Georg für Anwohner und Geschäftsleute attraktiver zu gestalten. Denn das Viertel, ehemals Treffpunkt für Junkies, Prostituierte und Transsexuelle, wandelt sich: In der Langen Reihe im Norden haben sich renovierte Altbauten und Weinläden ausgebreitet, die Straßen um den Steindamm und den Hansaplatz sollen folgen.

Seit Januar dieses Jahres gehen die ersten Beamten zivil auf Streife. Unerkannt bleibt Björndahl jedoch nicht auf dem Steindamm: Die Frauen kennen ihn. Und er kennt die meisten Frauen, ihre Namen und Lebensgeschichten. Viele kommen aus Bulgarien, Rumänien, Ungarn. Ihr Deutsch ist brüchig. Sie haben Namen wie Olga oder Swetlana, die richtigen Namen will der Polizist nicht in der Zeitung lesen. Es gehe ihm auch um den Schutz der Frauen – und nicht nur um Strafe.

„Die Frauen haben kein einfaches Leben“, sagt Björndahl später auf dem Hansaplatz. Er blickt am Hansabrunnen vorbei in Richtung eines Hotels. Sechs Frauen lehnen an der Wand, kurze Hosen, pinkfarbene Jacken, Stiefel. Als sich Björndahl und Monien nähern, hetzt die Gruppe den schmalen Aufgang zum Hotel hoch. Drinnen sind sie vor der Polizei sicher – solange sie sich nicht zu offensichtlich vor dem Hotel anbieten. „Man wird hier überall beobachtet“, sagt Björndahl.

Vor einer Spielhalle geht eine ihm bekannte Prostituierte auf und ab. Björndahl hat sie bei seinem ersten Rundgang schon bemerkt, „jetzt ist es zu viel“. Auch sie dreht sich schnell um, flüchtet in die Spielhalle. Die Polizisten folgen. Im gedämpften Licht kommt ihnen die Frau mit einem Kaffee in der Hand entgegen. Sie murrt. „Grad wiedergekommen.“ „Ja, warst im Urlaub, ne?“ Björndahl begleitet sie auf den Gehweg. Er notiert auch ihre Personalien und spricht einen Platzverweis aus.

Bis morgen früh, drei Uhr, darf sie die Zone um den Steindamm nicht mehr betreten. Doch dann wird sie wieder versuchen, einen Freier zu finden. CHRISTOPHER PILTZ