: „Nee, Oma, das ist ein Porno“
LITERATUR Anna Basener ist 30 und schreibt Groschenromane. Zwei im Monat. Sie mag Kitsch, weint beim Schreiben manchmal und setzt Küsse sehr dosiert ein. Ein Gespräch über den Glanz im Schund, echte Adelige und Sexwestern
■ Der Mensch: 1983 in Essen geboren, war lange die jüngste Groschenromanautorin Deutschlands. Sie studierte Kulturwissenschaften in Hildesheim und ist nach drei Jahren als Lektorin im Bastei Verlag nun selbstständig.
■ Das Werk: Allein in diesem Jahr neun Groschenromane. Ihr Repertoire umfasst Fürsten- und Heimatromane, Western und Fantasy. Verfasserin eines Ratgebers für Heftromanautoren. Diese Woche ist ihr Pop-Groschenroman „Der Fürstenroman“ als E-Book bei Amazon erschienen, Preis: 3,99 Euro.
GESPRÄCH FRANZISKA SEYBOLDT FOTOS WOLFGANG BORRS
sonntaz: Frau Basener, retten Sie doch mal schnell das schlechte Image des Groschenromans.
Anna Basener: Der Groschenroman ist ehrlich. Er sagt nicht: Ich bin anspruchsvoll, ich bin teuer, ich habe eine Metaebene. Er ist aus billigem Umweltpapier, er ist so gedruckt, dass viel auf eine Seite geht, und man kann ihn immer noch schön freundlich lesen. Manche Leute reißen sogar jede Seite raus, die sie gelesen haben, und werfen sie weg. Damit sie immer wissen, an welcher Stelle sie waren.
Der Groschenroman ist also das McDonald’s unter den Büchern.
Für mich ist er vor allem eine Nische in einer Welt, in der sehr viel Konkurrenzdruck herrscht, in der jeder schon mal nachts bei Rotwein irgendwas über seine Selbstentwicklung geschrieben und das auf Lesebühnen präsentiert hat. Ich mag es, da zu sein, wo niemand sonst ist. Außerdem fand ich Trash und Kitsch schon immer gut. Wenn alle anderen sagen: Da sind zu viele Blumen oder das ist zu billig produziert, dann muss ich erst recht hingucken. Ich bin davon gleichzeitig angezogen und abgestoßen, weil mir natürlich bewusst ist, was andere Menschen in meinem sozialen Umfeld davon halten.
Nämlich?
Meine engen Freunde finden das alle eher witzig und cool und verstehen auch das ironische Augenzwinkern. Aber ich weiß, dass ein paar Mütter von Freundinnen oder Verwandte so Sachen sagen wie: „Die hat doch studiert! Warum schreibt die nicht mal was Richtiges?“ Sie sagen mir das allerdings nie ins Gesicht. Das traut sich dann doch kaum jemand.
Wie lange schreiben Sie an einem Heft?
Wenn man da länger als fünf Arbeitstage darauf verwendet, lohnt es sich nicht.
Das heißt, Sie schreiben einen Heftroman in einer Woche?
Ja. Ich schreibe immer sechs, sieben Stunden am Tag, der Rest sind Pausen. Danach ist man aber auch durch. Und in der Woche drauf schreibe ich dann nicht gleich noch einen. Höchstens zwei im Monat.
Und davon kann man gut leben?
Davon kann man leben.
Was ist denn die wichtigste Zutat für einen Groschenroman?
Ein Kuss. Das ist der magische Moment, der Höhepunkt, danach kann nichts mehr kommen.
Also kommt der Kuss zum Schluss?
Nicht unbedingt. Der Kuss kann auch vor dem Konflikt kommen, in der Mitte der Geschichte.
Und was bleibt dann noch fürs Ende?
Der Heiratsantrag.
Puh.
Ja. Ich persönlich finde Hochzeiten ja sehr unromantisch. Ich sitze da zwar mit meiner Affektlabilität in der ersten Reihe und heule wie ein Schlosshund, aber diese Idee einer Hochzeit, diese ganze Inszenierung, dieses Brautsein, das verstehe ich alles nicht. Es war doch eigentlich nur ein wirtschaftlicher Vertrag zwischen zwei Familien, ist aber heute für viele der romantische Höhepunkt ihres Lebens.
Wird Romantik überbewertet?
Vielleicht habe ich auch einfach eine andere Vorstellung von Romantik. Wenn Freundinnen mir erzählen, was ihr Freund gerade für sie gemacht hat, denke ich oft: Ich will das gar nicht hören! Du zerstörst das Ganze schon in dem Moment, wo du es mir erzählst. Lass es doch bei dir.
Also sind Liebesgeschichten im Freundeskreis keine Inspiration für Sie?
Nein, aber ich merke, dass sich bestimmte Themen in meine Texte einschleichen. Eine Zeit lang habe ich viel über berufliche Themen geschrieben, seit ein oder zwei Jahren immer häufiger über Kinderwünsche.
Auch mal über Abtreibung?
Schwierig. Eine Abtreibung darf zumindest nicht Teil einer Lösung sein. Man würde es vielleicht rechtfertigen können, wenn die Heldin vergewaltigt worden wäre, aber dann müsste es ganz am Anfang passieren. Und sie müsste es bereuen. Der Groschenroman muss schon zeigen: Das Leben ist wertvoll.
Das klingt ja nicht gerade progressiv. Sie sind 30, waren lange die jüngste Groschenromanautorin Deutschlands. Ist das nicht frustrierend, als junge, emanzipierte Frau über so altmodische Moralvorstellungen zu schreiben?
Man muss davon ausgehen, dass ein Teil des Publikums konservativ ist und aus einer Generation kommt, wo Abtreibungen oder Scheidungen noch nicht alltäglich waren. Die darf man nicht erschrecken. Immerhin dürfen im Nebenplot mittlerweile auch homosexuelle Paare vorkommen. Es geht natürlich sehr langsam, verglichen mit der Welt, in der wir leben. Aber es geht voran.
Sie haben jetzt einen Adelsroman geschrieben, der mit den gängigen Heftromanregeln bricht. „Der Fürstenroman“ ist diese Woche als E-Book erschienen.
Das ist ein Adelsroman, der sich selbst nicht immer ernst nimmt. Ein Pop-Groschenroman. Ich habe mal ein Groschenromanexposé eingereicht mit einer Heldin, die schießt. Und das ist nicht angenommen worden mit den Worten: Nee, nee, so ein Flintenweib, das können wir nicht machen. Ich wollte einfach mal selbst entscheiden, wie weit ich gehe – bei Gewalt, bei Sex, bei der Sprache. Beim Groschenroman schreibt man immer im epischen Präteritum. Das mag ich aber eigentlich gar nicht so gerne, ich finde, das Präsens ist ein super Erzähltempus.
Sagen Sie doch mal einen Satz aus Ihrem Roman.
„Der Kopf der Prinzessin wird zur Seite geschleudert. Die Frisur hält.“
Verstehe.
Ich hatte Lust, einen eigenen Tonfall zu finden. Im klassischen Heftroman hat Sprache nur einen Zweck: die Vermittlung von Handlung. Ich wollte aber mehr damit machen, andere Ebenen betreten und meine Figuren auch mal kommentieren oder verurteilen. Die Figuren und die Leser. Und Sexualität kann ich anders darstellen oder überhaupt darstellen. Ich finde, dass das zur Liebe dazugehört. Man muss nicht so verstohlen beim Kuss aufhören. Aber im Groschenroman bleibt die Schlafzimmertür immer zu.
Die Figuren in Ihrem Roman haben ganz schön alberne Spitznamen. Prinzessin Josephina heißt „Seph“, Fürstin Leopoldine „Lollie“. Machen Sie sich über den Adel lustig?
Im Gegenteil. Ich würde ja auch keine Fürstenromane schreiben, wenn es mich nicht interessieren würde. Das ist eine wahnsinnig spannende Parallelwelt. Aber ich habe für diesen Roman viel mehr recherchiert als für einen Groschenroman. Ich wollte wissen: Wie präsentiert sich der deutsche Adel in den Medien eigentlich selbst? Da habe ich einen großen Unterschied festgestellt zu dem, was der Fürstenroman macht. Der deutsche Adel ist eigentlich anders. Die laufen auch mal in zerbeulten Cordhosen rum. Adel kommt ja von Haltung, von innen. Und ihr Schloss ist zwar schön und alt, aber es wird immer an drei Außenwänden gebaut, und das kostet wahnsinnig viel. Es geht im Fürstenroman oft nicht, das einigermaßen realistisch darzustellen. Die haben eine Gala-Version vom deutschen Adel, alles ist ein bisschen jetsettiger. Da muss es glamouröser sein, da muss die Liebesgeschichte in den Vordergrund. Und eine Sache, die für den deutschen Adel charakteristisch ist, sind die absurden Spitznamen. Da hat man den durchlauchtesten, distinguiertesten Herren, und alle nennen ihn Klotzi. Im klassischen Groschenroman wirkt das schnell lächerlich.
Haben Sie sich für die Recherche auch mit Grafen zum Tee getroffen?
Ich habe versucht, Interviews mit Adligen zu bekommen, das war aber nicht so einfach. Also habe ich Interviews geguckt und viel gelesen. Alles von Alexander von Schönburg, alles von Christine Gräfin von Brühl.
Prinzessin Seph prügelt sich gleich am Anfang um einen Brautstrauß. Sieht so der deutsche Adel aus?
Eine Gloria von Thurn und Taxis darf das. Die darf sich die Haare gelb färben, in einem Barockkostüm auf einem Tretroller durch ihr Schloss in Regensburg fahren und bei „Wetten, dass ..?“ sitzen mit einem Pulli voller Kuscheltiere. Dafür gibt es sogar ein Wort: ingeflippt. Wer um alle Konventionen und Regeln weiß, darf sie auch brechen.
Sie haben Kulturwissenschaften und ästhetische Praxis in Hildesheim studiert, wo Dozenten wie Hanns-Josef Ortheil junge Literaten ausbilden. Wie kommt man von da zum Groschenroman?
Für mein Vordiplom habe ich einen Cut-up-Text gemacht, à la William Burroughs. Ich habe einen neuen Text geschrieben aus Fetzen eines bestehenden. Ich dachte: Wenn du schon Literatur zerschneidest und das Heiligtum anfasst, dann nimmst du das Billigste, was es gibt. Ich habe dann wahllos durch alle Genres – Heimatroman, Arztroman – eingekauft. Beim Zerschneiden merkte ich, dass ich immer hängen geblieben bin und weitergelesen habe. Und bin dann in die gleiche Falle getappt wie viele andere: Ach so, na ja, das kann ich ja auch mal schnell machen.
Und dann haben Sie das mal schnell gemacht.
Ich habe mich da reingelesen, und dann kam eine Heftromanautorin für ein Projektseminar zu uns an die Uni. Wir haben zu sechst einen Groschenroman geschrieben, der auch erschienen ist. Dann habe ich ein Praktikum bei Bastei Lübbe gemacht und immer mal wieder einen Roman geschrieben. Ein Heftroman hat mir ein Semester finanziert.
Zu Ihrem Repertoire gehören Adelsromane, Heimatgeschichten und Romantasy, eine Mischung aus Romantik und Fantasy. Gibt es etwas, das Sie niemals schreiben würden?
Ja, Arztromane. Die sind mir zu klinisch. Und ich mag Blau nicht, das Cover ist aber immer blau. Ich finde das sehr hässlich. Außerdem hat man da immer Figuren wie Dr. Stefan Frank, die sich nie selbst verlieben, sondern immer nur andere Paare zusammenbringen.
Sie schreiben aber auch Erotikromane. In „Fucking Texas“ gibt es eine Stelle, über die ich sehr lachen musste: „Sophie betrachtete ihre große Titten und stieß genüsslich den Rauch aus. Sie hatte einfach prächtige Brüste.“
Ja, in den Erotikromanen kann man den Frauen auch mal ein bisschen mehr Selbstironie mitgeben. Wobei die Heldinnen vom Verlag vorgegeben sind. Da werde ich sogar eher gerügt, wenn ich die zu schüchtern darstelle. Und Sophie, die das über ihre Brüste sagt, die findet sich halt immer geil. Ehrlich gesagt finde ich das entspannend, mal über eine Frau zu schreiben, die mit sich selbst zufrieden ist. Ist doch super.
Lesen Ihre Eltern das?
Meine Oma hat mal einen Sexroman von mir gelesen. Lassiter, der härteste Mann seiner Zeit. Das ist eine Westernserie, für Männer um die 60. Sie meinte am Telefon: Also die Geschichte hat mir ja gut gefallen, aber dann hab ich das … und dann das … Das ist ja fast ein Porno! Ich habe gesagt: Nee, Oma, das ist nicht fast ein Porno, das ist ein Porno.
Hat sie es überlebt?
Ja. Sie hat dann irgendwann die Sexszenen überblättert.
Ich könnte nicht ernst bleiben, wenn ich so etwas schreiben würde. Sitzen Sie manchmal vor dem Computer und kichern sich einen?
Selten. Währenddessen bin ich zu nah dran. Die Distanz, die man braucht für Ironie, kommt erst später. Ich muss beim Schreiben aber durchaus auch mal weinen.
Vielleicht muss man ja so sein, um Groschenromane schreiben zu können.
Ach, ich weiß nicht. Ich selbst finde kitschige Oberflächen zwar super und mag es auch gerne bunt, aber darunter bin ich total unromantisch und pragmatisch. Was natürlich dabei hilft, wenn man sehr viel schreiben muss. Das ist ein sehr schönes Spannungsfeld zwischen der romantischen Traumwelt, die man liefert, und dem, was man dafür tun muss.
Ständig verlieben sich da welche!
Ja, aber irgendwie muss man das verhindern, sonst ist ja auf Seite drei Schluss. Also baut man einen Konflikt, der die Liebenden auseinanderzieht. Immer.
Zum Beispiel die intrigante, schöne Rothaarige.
Genau. Aber ganz so einfach ist es nicht. Irgendetwas muss die Existenz dieser Nebenbuhlerin rechtfertigen. Vielleicht war der Held mal in sie verliebt, oder sie hat etwas, das er dringend braucht und das sein Begehren für die Heldin vernebelt. Im Fürstenroman bieten sich auch Standesdifferenzen an, die überwunden werden müssen. Aber: Es macht noch keinen Konflikt, wenn sie Verkäuferin ist und er Herzog. Warum sollen die beiden nicht einfach zusammenkommen? Da muss man ansetzen. Macht sie vielleicht irgendwas, das er missversteht? Nutzt jemand anderes, der gegen die Beziehung ist – vielleicht sein Vater –, diese Differenzen aus?
Am Ende geht dann trotzdem alles garantiert gut aus. Ist das nicht langweilig?
Man muss den Leser nicht überraschen. Das ist sowieso ein Irrglaube, was das Erzählen von Geschichten angeht. Meistens ist es spannender, je mehr der Leser weiß. Wenn Julia am Ende eben nicht tot ist und alle wissen es – außer Romeo. Die Spannung entsteht daraus, dass die Figuren irgendwohin wollen und nicht können. Und: Es ist ja auch schön, dass der Roman aufhört, wenn sie sich gefunden haben.
Bevor die richtigen Probleme losgehen.
Ja. Ehestreitigkeiten, Langeweile und weniger Sex sind nämlich die einzigen Konflikte, die man danach hat. Das will niemand lesen.
■ Franziska Seyboldt, 29, ist sonntaz-Redakteurin
■ Wolfgang Borrs, 52, fotografiert für die taz