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Archiv-Artikel

Die Pete-Show

Kommt Pete Doherty oder kommt er nicht? Das ist die Frage, die Fans und Klatschpresse vor jedem Konzert der britischen Band Babyshambles intensiv diskutieren. Am Freitag war der Termin für das Konzert im Hamburger Grünspan. Und Doherty kam nicht nur. Er kam auch noch rechtzeitig

„Das hier ist nicht Tokio Hotel!“ schreit einer der älteren Fans genervt. Stimmt. Es ist die Pete-Show

Wie es in seinem Inneren aussieht, wissen wir nicht. Weil die Fenster schwarz verspiegelt sind. Aber er macht Hoffnung: Mitten vor der Hamburger Konzerthalle Grünspan steht dieser mächtige Reisebus, und zwar so, dass man vom Cockpit aus direkt in die Eingangstür fallen kann. Pete Doherty muss in der Stadt sein.

Gegen 19.15 Uhr hievt ein schwarz gewandeter Mitarbeiter mit Backstage-Pass eine durchaus abgewrackte Gitarre in den Bus. Den Fans fällt das nicht weiter auf: Sie stehen zwischen Reisebus und Hauswand, warten auf den Einlass und diskutieren natürlich die eine große Frage: Kommt er oder kommt er nicht? Das Konzert am Donnerstag in Berlin begann mit fünf Stunden Verspätung um 1.30 Uhr, das Konzert am Mittwoch in Köln hatte Babyshambles-Sänger Pete Doherty ganz platzen lassen. Offiziell war die Begründung, Doherty habe sein Flugzeug in London verpasst. Inoffiziell gibt es den Hinweis, der an den 27-jährigen gekettet ist wie seine Liebschaft mit Model Kate Moss: Drogen.

Denn Doherty ist ein Junkhead, sein Leben kreist um Heroin und Crack und ständige Gerichtsverfahren wegen Drogendelikten und man erzählt sich, dass er gerade heute, an diesem Freitag, einen Gerichtstermin in England gehabt habe. „Es kann sein, dass ihn Scotland Yard heute Abend im Grünspan von der Bühne holt“, sagt einer der Fans in der Schlange. „Du spinnst“, sagt ein anderer. „Oder hast Du schon Helicopter über dem Grünspan kreisen sehen? Ich nicht.“

Keine Frage: Pete Doherty regt die Phantasie an. Seit Beginn seiner Rockstarkarriere im Jahr 2002 produziert er Skandal-Geschichten, und die Geschichten werden weitergesponnen. Und damit die Phantsie nicht zu sehr eingeschränkt wird, zeigt sich der Star nicht allzu oft. Für Interviews soll er fünfstellige Summen kassieren und bei seinen Konzerten bleibt er regelmäßig unentschuldigt weg. Also: Kommt er oder kommt er nicht? Eine mächtige Frage, weil sie so einfach ist. Es gehört zur Mythenbildung, dass die Antwort an diesem Abend im Grünspan so einfach ist: Er ist längst da. Einen guten Meter über den Köpfen der Fans liegt er im Tourbus hinter verspiegelten Fenstern. Was er da tut? „Im Moment ist er noch zugedröhnt“, sagt einer der Security-Männer. „Ob er spielt oder nicht, hängt davon ab, ob er rechtzeitig wach wird.“

Er wurde. Wobei das mit dem „rechtzeitig“ ernst gemeint war: Die Babyshambles hatten nur bis 23 Uhr Zeit, ihr Konzert zu spielen – danach wollte das Grünspan zum normalen Freitag-Abend-Partybetrieb übergehen. Kooperativ stand Pete Doherty also um 20.45 Uhr auf der Bühne, draußen ist es noch hell und drinnen ist es ausverkauft, und als er dem Publikum die Faust entgegenreckt, ist klar: Bereits jetzt, vor dem ersten Ton, ist der Abend für die Allermeisten ein Gewinn – denn er kam und man war dabei.

Da steht er also mit Schlägermütze und Ringelhemd und sieht mitgenommen aus, aber gutmütig. Doherty ist einer, der gerne Hände schüttelt und ab und an in die Menge springt. Mit seiner Gitarre um den schmächtigen Körper schunkelt er oft wie ein Folk-Sänger, taumelt dann aber wieder vor und zurück und ist dabei völlig gefangen im Augenblick. Tatsächlich entsteht bei ihm eine augewöhnliche Intensität, ein Zauber, weil er so sehr beides ist: Der verlorene Bub, der an Muttergefühle appelliert und das egomanische Arschloch, das mit einem guten Schuss Selbstzerstörung das alte „Sex, Drugs and Rock‘n‘ Roll“-Prinzip neu bedient.

Es ist ein gutes Konzert, aber doch eines, das der gewöhnlichen Dramaturgie folgt. „Fuck forever“, die Hymne, wird das letzte Stück, das Publikum singt entfesselt mit, die Luftfeuchtigkeit erreicht Rekordwerte. Als Zugabe gibt es mit dem Song „What Katie Did“ eine Liebeserklärung an Kate Moss. Pete Doherty erfüllt an diesem Abend alle Hoffnungen.

Nur der letzte Akt stimmte so sehr mit der alten Rock‘n‘Roll-Erzählung überein, dass es schon wieder eigenartig war. Das Konzert vorbei, alle beim Ausdampfen vor den Türen – und wer lässt sich in den Tourbus geleiten, bestürmt von TV-Kameras und Foto-Handys? Es folgt eine Autogramm-Stunde vom Bus-Cockpit aus. Unter den nachdenklichen Blicken von Babyshambles-Schlagzeuger Adam Ficek, der kurz nach Doherty den Bus betritt und für den sich keine Sau interessiert. „Das hier ist nicht Tokio Hotel!“ schreit einer der älteren Fans genervt. Stimmt. Es ist die Pete-Show. Aber die Foto-Handys, die sind die gleichen. Klaus Irler