: „Die Logik des Gesetzes“
Wer, wie, was bekommt: Martin Kölling von der Kölner Entschädigungsstelle über ein Gesetz für die Opfer
taz: Herr Kölling, wie hilft das Versorgungsamt den Opfern von Gewalttaten?
Martin Kölling: Gewaltopfer haben nach dem Opferentschädigungsgesetz einen Anspruch auf Heilbehandlung für Gewalt bedingte Gesundheitsstörungen. Das gilt nicht nur für körperliche, sondern auch für seelische Verletzungen. Die Leistungen werden generell zuzahlungsfrei und ohne Eigenbeteiligung gewährt. Auch kommen wir, wenn nötig, für die gesundheitliche und berufliche Rehabilitation auf. Bei schwerwiegenden Minderungen, die die Erwerbsfähigkeit des Betroffenen um mehr als 25 Prozent verringern und bei dauerhaften Störungen kann auch eine Rente gezahlt werden.
Nennen Sie einen typischen und einen spektakulären Fall ihrer Arbeit.
Typisch wäre vielleicht der Fall einer alten Dame, die auf dem Friedhof von einem Straftäter erst zusammengeschlagen und ihrer Handtasche beraubt wird. Beim Sturz erleidet sie einen Oberschenkel-Halsbruch. Die Polizei weist sie dann auf das Versorgungsamt hin. Wir zahlen ihr vier Stunden Beratung in einer psychotraumatologischen Beratungsstelle, da die Frau sich nicht mehr aus dem Haus traut. Die anfallenden Operationskosten im Krankenhaus übernehmen wir auch. Dann attestieren der ärztliche Dienst und das psychologische Gutachten eine Beinverkürzung bei der Frau und eine posttraumatische Belastungsstörung die ihre Erwerbsfähigkeit um dreißig Prozent mindert. Daraufhin zahlen wir ihr eine monatliche Rente von 118 Euro.
Und ein spektakulärer Fall?
Da wäre der Mordfall an dem Rechtsanwalt und seiner Familie in Overath im Herbst 2003. Der zur rechtsradikalen Szene gehörende Täter erschoss ja wegen seiner Mietschulden den Rechtsvertreter seines Vermieters sowie dessen Frau und Tochter. Zwar gab es keine überlebenden Familienangehörigen, die eventuell einen Anspruch auf Waisenrente gehabt hätten. Und doch gibt es hier eine Nachbarin, die Zeugin der Bluttat wurde. Die Frau erlitt einen Schockschaden, benötigte eine Therapie und erhielt neben der Heilbehandlung auch eine Rente. Das war allerdings ein Grenzfall.
Greift die Opferentschädigung auch bei Gewalttaten im Ausland?
Nein, das würde auch der Logik des Gesetzes widersprechen: Die Entschädigung wird ja deshalb gezahlt, weil der Staat jeweils dabei versagt hat, seine Bürger hinreichend vor Kriminalität zu schützen. Aber immerhin gilt das OEG auch für deutsche Flugzeuge und Schiffe. Hingegen hatten etwa die Opfer des Terroranschlages in Djerba keinen Anspruch auf eine Entschädigung nach dem OEG.
Wie hoch waren die Leistungen, die der Staat für die Opferhilfe in den vergangenen 30 Jahren aufbringen musste?
Bund und Länder brachten seit 1976 insgesamt 1,325 Milliarden Euro auf. Für das Land Nordrhein-Westfalen allein waren das in den zurückliegenden dreißig Jahren 272 Millionen Euro. INTERVIEW: SIEGFRIED SCHMIDTKE