: Lenin gegen Bond
Die Russen wollen Lenins Leiche loswerden, Gunther von Hagens will sie plastinieren
MOSKAU taz ■ Noch immer liegt Wladimir Iljitsch Uljanow, genannt Lenin, in seinem Mausoleum und empfängt Besucher. Nicht mehr so viele wie früher, aber täglich marschieren noch hunderte Menschen durch den Metalldetektor am Zugang zum Roten Platz, um für wenige Momente in den Bau aus schwarzem Labradorstein und dunkelrotem Granit hinabzusteigen, wo der Leichnam des Revolutionsführers drei Meter unter der Erdoberfläche in einem beleuchteten Glassarkophag liegt – ordentlich gekleidet im dunkelblauen Anzug und mit gepunktetem Schlips. Immerhin hat er die rechte Hand zur Faust geballt. Aber auch das rechte Auge leicht zugekniffen. Es scheint, als würde er zwinkern.
Das postume Lächeln würde ihm freilich vergehen, wenn er wüsste, was ihm nach jahrzehntelanger Ruhe bevorsteht. Seit 20 Jahren gibt es in Russland Diskussionen, den Einbalsamierten aus der Gruft zu holen und umzubetten. Bisher hat es die russische Regierung stets abgelehnt, stattdessen lässt sie ihn regelmäßig chemisch aufpäppeln. Zweimal pro Woche wird er zudem von Wissenschaftlern auf seinen körperlichen Zustand untersucht. Der Rest kann vernachlässigt werden, da Lenin das Gehirn – zur Untersuchung der „Substanz seiner Genialität“ – beizeiten entfernt wurde.
Nach der letzten Mausoleumsschließung wegen „notwendiger Arbeiten am Leichnam des Revolutionsführers“ waren die Forderungen nach Beendigung des Mumienausstellung besonders angeschwollen. Der kalmykische Präsident Kirsan Iljumschinow hatte sogar dem Kommunisten-Führer Gennadi Sjuganow angeboten, für eine Million Dollar Lenin samt Mausoleum in die Hauptstadt der südrussischen Steppenrepublik Elista umzusiedeln. Die Kalmyken betrachten den toten Wladimir Iljitsch Uljanow als „einen Landsmann“, weil Lenins Großmutter eine Kalmykin war.
Obwohl die russische Regierung aus Rücksicht auf die Sowjet-Nostalgiker darauf nicht einging, ist sie immer weniger froh über die Dauerpräsenz des Kommunismusbegründers in Moskau. Erst recht, seit auch Experten des renommierten Instituts für russische Geschichte bei der Akademie der Wissenschaften forderten, dass sich das moderne Russland „vollständig von den Symbolen der kommunistischen Vergangenheit trennen“ sollte.
Wie die Komsomolskaja Prawda jetzt enthüllte, sorgte letztlich das ins Schlingern geratene außenpolitische Ansehen Russlands für eine abrupte Wende im Fall Lenin. In einem von der Zeitung zitierten Geheimdossier des außenpolitischen Beraters Präsident Putins heißt es, man müsse dem durch die Inhaftierung des Ölmagnaten Chodorkowski und die Einschränkung der Pressefreiheit in Russland beunruhigten Westen signalisieren, dass es in Russland kein Zurück zu diktatorischen Strukturen gebe. Das Ausquartieren Lenins wäre die ideale Lösung. „Das Ausland bekommt einen Beweis unserer demokratischen Gesinnung, und Lenins Leiche können wir endgültig kaltstellen“, zitiert das Blatt den Putin-Berater.
Unter dem Stichwort „Was tun?“ ist dabei ein Coup formuliert worden, der noch für Aufregung bei den Postkommunisten sorgen dürfte. Ausgehandelt wurde er nur wenige Tage nach Lenins 136. Geburtstag am 22. April im Restaurant Mertvetzki Pjan (deutsch: „Schnapsleiche“) unweit des Roten Platzes. Dort gab es ein geheimes Treffen eines hochrangigen russischen Regierungsbeamten mit Gunther von Hagens. Der Leichenmeister aus Deutschland ist in Russland kein Unbekannter, seit er vor einigen Monaten auf der Suche nach einem Standort für seine Plastinationsfabrik auch im Moskauer Wirtschaftsministerium vorstellig geworden war. Die Russen ließen den Investor damals zwar abblitzen, weshalb er nun im ostdeutschen Städtchen Guben seine Leichenmanufaktur eröffnet.
Unter vier Augen unterbreitete der Putin-Beamte von Hagens den Vorschlag, Lenins Leiche zu übernehmen. Gunther von Hagen soll begeistert eingewilligt haben – unter der Bedingung, Lenin erkennbar als den großen Kommunistenführer in seinen Ausstellungen präsentieren zu dürfen. Nach einigen Runden Wodka und berauscht von der Vorstellung, auch die Sowjet-Nostalgiker würden sich wohl über die Weiterexistenz des Weltrevolutionärs freuen, gab der russische Unterhändler nach.
Doch die Sache könnte nach hinten losgehen, denn Marketingprofi von Hagens bastelt offenbar an seinem eigenen Coup. Jedenfalls fielen die Russen aus allen Wolken, als sie kürzlich aus der Westpresse erfuhren, wer im neuen James-Bond-Film „Casino Royale“ mitspielt: von Hagens’ Plastinate! In einer Museumsszene sitzen da Karten spielende Leichen an einem Pokertisch. Nun vermutet man im Kreml, dass Lenin unter den Zockern sein wird und im Film als untoter Bösewicht symbolisch für das neue Russland vorgeführt wird. Für diesen Fall scheint man in Russland bereits gewappnet, denn im Putin-Reich läuft schon ein Verbotsantrag gegen den neuen Bond-Film – wegen Verunglimpfung nationaler Symbole. GUNNAR LEO