So toll sah Kleopatra gar nicht aus

Viele hundert Gegenstände aus Kult, Handel und Küche des alten Ägyptens hat der französische Meeresarchäologe Franck Goddio in den letzten Jahren vor Alexandria aus dem Meer geholt. In der Ausstellung „Ägyptens versunkene Schätze“ sind sie nun im Berliner Martin-Gropius-Bau zu bestaunen

von BARBARA KERNECK

Die am Wochenende im Berliner Martin-Gropius-Bau eröffnete Archäologieausstellung „Ägyptens versunkene Schätze“ wurde im Voraus angekündigt wie die Riesendame auf dem Rummel: vor allem als „faszinierend“ und kolossal. An erster Stelle kam die Nachricht, dass die Statue des Nilgottes Hapi über fünf Tonnen schwer und fünfeinhalb Meter hoch ist und mit ihresgleichen in einem Airbus A 300-600 ST, dem Flugzeug mit dem weltgrößten Frachtraumvolumen, nach Berlin gelangte. Die Ausstellung aber ist besser als die Reklame.

Zum einen sind die über 500 großen und kleinen der Welt erstmals präsentierten Gegenstände zwischen Kult und Küche aus über 15 Jahrhunderten einfach wunderschön, vom winzigen Amulett über den soliden Spiegel bis zur sinnlich gerundeten Sphinx. Zum anderen lassen uns die zusätzlich als Film, Ton und auf Schrifttafeln gebotenen Informationen besser verstehen, warum sie so dämonisch in unsere Tage hineinwirkten. Was da, dank der seit 1992 zehn Jahre währenden Kleinarbeit des Taucherteams von Franck Goddio vor dem ägyptischen Alexandria und in der Bucht von Abukir, an die Oberfläche stieg und sich nun in Berlin-Mitte materialisiert, war zwar ein reichliches Jahrtausend lang nicht auffindbar, trotzdem aber nie ganz verschwunden. Die Einwohner Alexandrias lebten bis Mitte des 20. Jahrhunderts teilweise in einer imaginären Stadt und trugen diese archäologischen Schichten in ihren Köpfen.

Die Städte Heraklion und Kanopus lagen an der Mündung des größten, ins Mittelmeer fließenden Nilarms. Zusammen mit dem etwa 30 Kilometer südwestlich davon an der Küste gegründeten Alexandria bildeten sie den größten Handelsplatz der Antike. Ägyptisches Korn, indische Duftöle, chinesische Seide, afrikanische Tiere, Pflanzen und Sklaven gingen hier auf die Reise. Aber nicht nur der Warenfluss, sondern auch Massen von Besuchern prägten das Bild der Region. Benachbarte Tempel in Kanopus und Heraklion bedienten griechische, römische und ägyptische Götter gleichermaßen, und nach deren Besuch konnten die Pilger sich in den verschiedensten Vergnügungsstätten und Bordellen unterhalten, vor allem auf der heißen Strandmeile von Kanopus, dem damaligen Las Vegas.

Während die Lage des antiken Hafens von Alexandria einigermaßen bekannt war, wusste man über den genauen Ort der Stadt Heraklion (ägyptisch Thonis) nichts mehr. Goddios Team hat sie in mühsamer Forschungsarbeit geortet. Heraklion, Ägyptens Tor zur Welt, ist heute ein ägyptischer Flottenstützpunkt. Wenn in einer so hervorragend bewachten Küstenzone plötzlich getaucht und geforscht wird, stecken immer einige hohe Regierungsbeamte dahinter. Der 1947 in Casablanca geborene Franck Goddio versteht etwas von Geschäften und verfügt über die nötigen Kontakte, um seine Träume zu verwirklichen. Nach seinem Studium an der Ecole Nationale de la Statistique et de l’Administration Economique arbeitete er als Finanzberater für die UNO und andere Organisationen. Mit Ende dreißig machte er sein Hobby, die Unterwasserarchäologie, zum Beruf.

In einigen Räumen des Martin-Gropius-Baus balancieren die Besucher nun wie auf dem Grunde eines Aquariums. Auf Monitoren, von denen jeder eine Wand völlig bedeckt, spielen sich die Unterwasseraktivitäten Franck Goddios und seiner grabenden Taucher ab. Mit einem einzigartigen technischen und finanziellen Aufwand brachte Goddio schon chinesische Dschunken und Schiffe aus Napoleons Flotte ans Tageslicht. Seine Ortungsgeräte lässt er teilweise bei der französischen Atomindustrie austüfteln, seine Aktivitäten vor Alexandria finanziert die Hilti Foundation in Liechtenstein, der wohltätige Zweig einer international tätigen Baufirma.

„Ich bin kein Abenteurer“, beteuerte Goddio, „meine Aufgabe ist, Abenteuer zu vermeiden. Sie bedeuten unnötige Risiken und Verschwendung von Zeit und Geld.“ Größten Wert legt er auf einen legitimen institutionellen Rahmen. Ägyptens Staatspräsident Mubarak wohnte der Eröffnung als treuhänderischer Eigentümer der nun Ägypten gehörenden Exponate bei.

Alexander der Große gründete 332 v. u. Z. die Stadt, die folgerichtig seinen Namen trägt. Ein Drittel des ausgegrabenen Territoriums des alexandrinischen Portus Magnus gehörte zum königlichen Luxusareal. Parks und Sportstätten zierten in der Antike die rational im Schachbrett angelegte Stadt, deren Gebäude vor Gold und weißem Marmor strotzten. Sie strahlte auch als Zentrum der Wissenschaft. Das Museion, die größte Bibliothek der damaligen Welt, konzentrierte in einer halben Million Papyrusrollen das Wissen der Zeit; hier erfand Archimedes die Wasserschraube, hier wirkte Euklid. Gleichzeitig war die Region Bühne für das Scheitern immer neuer Herrscher.

Die letzte der von Alexander begründeten Dynastie der Ptolemäer, Kaiserin Kleopatra, starb im Jahr 30 v. u. Z. durch Doppelselbstmord gemeinsam mit dem römischen Feldherren Antonius angesichts des Anrückens feindlicher Heere aus dessen Heimat. Auf die Römer folgten die Byzantiner und auf diese im 6. Jahrhundert die Araber. Natürlich begegnen wir Kleopatra in der Ausstellung. Ihr Abbild auf Münzen führt zu dem Schluss, ihre erotische Ausstrahlung muss wohl mehr auf Macht denn auf Schönheit beruht haben. Viele der großen Objekte und kleinen Talismane in der Ausstellung zeigen, dass man das Erotische im alten Alexandria nicht nur flüsternd erwähnte, sondern ausdrücklich anbetete. Da steht die kopflose Statue der Königin Arsinoe, Ehefrau und Schwester von Ptolemäus II. Ihr Gatte befahl, ihren Kult in ganz Ägypten zu verbreiten, und wenn man die Statue anschaut, weiß man warum.

Völlig vernichtet wurden die von Goddio erforschten Territorien erst von einer Naturkatastrophe. Ein oder mehrere aufeinander folgende Erdbeben mit Flutwellen müssen sie dahingerafft haben. Keiner der ausgegrabenen Gegenstände ist nach dem Jahre 850 u. Z. hergestellt worden. Weil er die Reste vertäuter Kähne fand, vermutet Goddio, der Zusammenbruch der Gebäude sei so schnell erfolgt, dass viele Menschen nicht einmal mehr die Anker lösen konnten, um sich zu retten.

Bis 4. September, Katalog (PrestelVerlag) 29 Euro