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Archiv-Artikel

Bangkok in Flammen

Nach der Räumung des Camps der Rothemden in Bangkoks Innenstadt entlädt sich der Zorn der Demonstranten: Die Börse, das größte Kaufhaus und ein TV-Sender brennen

Die Vermummten beginnen, Telefonzellen aus ihren Verankerungen zu reißen, und kippen sie auf die Straße. Die Menge jubelt ihnen zu

AUS BANGKOK NICOLA GLASS UND SASCHA ZASTIRAL

Bangkok in der Morgendämmerung: Die „Operation Ratchaprasong“ beginnt. Am Eingang des Lumphini-Parks sammeln sich Militärs und Soldaten. Geduckt warten sie hinter einer Mauer auf den Befehl zum Einrücken. Dann quäkt das Walkie-Talkie des Einsatzleiters, er winkt. Erst geht die Polizei rein, die Soldaten folgen. Alle rennen über den Rasen, suchen Deckung hinter Bäumen, Sitzgruppen, Toilettenhäuschen. Es geht nur langsam vorwärts. Einer in der Gruppe mahnt zur Vorsicht: In den umliegenden Hochhäusern seien Scharfschützen postiert. Es wird vermutet, Rothemden hätten sich im Park versteckt.

Es geht weiter im Zickzackkurs – dann macht der Trupp vor einem Gebäude der Parkverwaltung halt. Wieder heißt es warten. Der Lumphini-Park grenzt direkt an das von den oppositionellen Rothemden besetzte Geschäftsviertel im Herzen der Hauptstadt. Die Idylle des sonnigen Maimorgens täuscht – plötzlich peitschen Schüsse durch die Stille, dann knallt es etliche Male. Über den Bäumen steigt dichter, schwarzer Rauch auf, er umnebelt das Viertel. Es sind die Barrikaden der Rothemden, die da lichterloh brennen – Autoreifen, Bambusstöcke, Tücher. Der Leiter dieses Spezialtruppe ist ein großer, drahtiger Mann mit kurz geschorenem Haar, freundlich, gelassen. Er solle mit seinen Leuten zwei Tore des Parks sichern, sagt er. „Ich befolge Befehle“, sagt er noch, „gern tue ich diesen Job heute nicht.“

Auf einmal herrscht Totenstille. Aus dem Parktor geht es rechts ein Stück die Straße runter – dahinter liegt das, was wochenlang das Camp der Rothemden war. Rauch und Gestank von verbranntem Plastik und Abfällen werden immer stärker. Die Szenerie, die sich darbietet, sieht aus wie nach einem Krieg – und es war auch einer. Die Barrikaden der „roten“ Demonstrationsmeile sind eingerissen – überall liegen zersplittertes Glas, zerfetzte Planen und Reste von Zelten, der Müll häuft sich bergeweise. Blut- und Brandflecken sind zu sehen. Zu diesem Zeitpunkt hat es schon mindestens drei Tote gegeben – die Leichen liegen auf dem Bordstein, darüber sind Tücher gelegt. Es herrscht beklemmende Stille.

Langsam bewegen sich die Soldaten vorwärts – hinter ihnen ein riesiger Reporterpulk. Plötzlich peitschen erneut Schüsse durch die Luft, alle gehen in Deckung. Die Lage ist brenzlig, zu brenzlig, um auf der Straße zu sein. An einer kleinen Kreuzung wird haltgemacht. Alle verharren, dann gibt es einen Tumult. Mehrere Soldaten spurten auf die andere Straßenseite, umringen eine Gruppe von acht Männern und zwei Frauen, die sich dort aufgehalten haben. Die Armee hält sie für Rothemden oder deren Sympathisanten. Sie alle werden in ein Gebäude gebracht, das wie eine kleine Lagerhalle aussieht, sie werden gefesselt und bekommen die Augen verbunden. Schließlich fährt ein Polizeiwagen vor, die Festgenommen werden abtransportiert.

Boden erzittert

Dann geht alles so schnell, dass man kaum rechtzeitig reagieren kann: Wieder knallen Gewehrsalven, eine Gruppe von Journalisten und zwei buddhistische Mönche, die plötzlich auf der Straße aufgetaucht sind, retten sich in einer schmale Seitengasse. Es ertönt eine ohrenbetäubende Explosion: Eine M-79-Granate ist losgegangen, der Boden erzittert förmlich. Bedrückende Meldungen machen an diesem gesamten Morgen die Runde: Ein italienischer Kollege ist getötet, zwei andere sind verletzt worden.

Irgendwann hört man ganz schwach einen der Lautsprecher, vermutlich ist noch einer an der Hauptbühne der ehemals „roten“ Demonstrationsmeile in Betrieb. Später wird man erfahren, was die Anführer gesagt haben. „Ich weiß, dass es für einige von euch inakzeptabel ist“, wurde Nattawut Saikua in den Medien zitiert. „Aber wir stoppen jetzt unseren Widerstand“, sagte er und rief die Oppositionellen auf, sich vollständig aus dem Viertel zurückzuziehen. Ein weiterer Mitstreiter, Jatuporn Prompan, soll unter Tränen versichert haben, dass man keine weiteren Toten mehr wolle. Mindestens vier der roten Anführer stellen sich der Polizei.

Doch die Rufe nach Rückzug verhallen ungehört. Schlimmer noch: Nach der Niederschlagung an der Ratchaprasong bricht in etlichen Teilen Bangkoks Chaos aus. Wütende Rothemden werden zum Mob: Sie randalieren an Straßenkreuzungen und setzen Gebäude in Brand, darunter auch das größte Kaufhaus Bangkoks, die thailändische Börse und einen Fernsehsender.

Später, am Nachmittag, versammeln sich mehrere hundert Menschen am Victory Monument, einem großen Denkmal und Kreisverkehr am Rand der Innenstadt. Rund hundert von ihnen sind vermummt, andere tragen Motorradhelme. Einige schwarz gekleidete Ordner der Rothemden sind zu erkennen. Die meisten sind jedoch ganz normale Passanten.

Ein Mann, er ist etwa 40 Jahre alt, sagt: „Heute Abend wird es losgehen. Denn wir sind im Recht. Dennoch hat die Regierung und die Armee so viele Menschen getötet.“ Ein Frau fügt hinzu: „Mit blutet das Herz. Warum sind so viele Menschen gestorben? Weil wir unser Recht auf Wahlen einfordern?“ In einer Nebengasse brennen Autoreifen. Der Himmel darüber färbt sich pechschwarz.

Die Vermummten beginnen, Telefonzellen aus ihren Verankerungen zu reißen, und kippen sie auf die Straße. Die Menge jubelt ihnen zu. Andere Protestler stürmen heran und schlagen mit Holzlatten und Eisenstangen die Scheiben ein. Eine Verkäuferin von einem mobilen Essenstand, sie trägt eine weiße Schürze, hebt eine Holzlatte von der Straße auf und schlägt ebenfalls die Scheibe einer Telefonzelle ein. Die Zuschauer lachen, applaudieren und johlen frenetisch.

Dann beginnen Randalierer, das Rollgatter eines geschlossenen Supermarkts am Rand des Kreisverkehrs aufzubrechen. Vielen Zuschauern ist der Schreck ins Gesicht geschrieben. „Das geht doch nicht!“, rufen sie und rennen entsetzt weg. Doch die meisten Zuschauern jubeln. Die Demonstranten schlagen die Scheiben ein und plündern das Geschäft. Ein Mann trägt die Registrierkasse davon.

Nur wenige Meter entfernt beobachten Polizisten die Vorgänge. Sie machen keine Anstalten, einzuschreiten. Schon lange hat Thailands umkämpfte Regierung befürchtet, die Polizei stehe insgeheim auf der Seite der Rothemden. Vorfälle wie dieser geben dieser Befürchtung Nahrung.

Mehr als 20 Gebäude stehen am frühen Abend in Bangkok in Flammen. An mehr als einem Dutzend Orten in der Stadt haben sich Demonstranten versammelt und fordern die Soldaten heraus. Im Nobelviertel Sukhumvit östlich der Innenstadt brennen an mehreren Stellen Reifen. Auch hier ziehen kleinere Gruppen durch die Straßen, zerstören Telefonzellen und schlagen Scheiben ein.

In mehreren Städten im Norden und Nordosten des Landes, wo der gestürzte Expremier Thaksin besonders viele Anhänger hat, stürmen Demonstranten Regierungsgebäude und zünden sie an. Nachrichten aus diesen Teiles des Landes dringen nur spärlich nach Bangkok; doch es wird von wiederholten schweren Zusammenstößen berichtet.

Hinzu kommen schwere Angriffe auf die Medien. Demonstranten stürmen am Nachmittag in Bangkok das Gebäude des staatlichen Senders Channel 3 und werfen Brandbomben ins Erdgeschoss. Etwa hundert Mitarbeiter werden von Hubschraubern evakuiert. Auch warnen Randalierer mehrfach Fotojournalisten drohend, Aufnahmen von ihnen zu machen. Die regierungsnahe Tageszeitung Bangkok Post schließt nach Drohungen ihre Büroräume und schickt ihre Mitarbeiter nach Hause.

Den Medien kommt bei der derzeitigen Auseinandersetzung eine Schlüsselrolle zu. Im Camp der Rothemden wurde die Stimmung gegenüber Journalisten in den vergangenen Tagen immer feindseliger. Schon vor Wochen hat die Regierung per Notstandsverordnungen das Übertragungssignal von „People’s Television“, dem Fernsehsender der Rothemden, abschalten lassen. Mehr als 600 Websites von Aktivisten wurden geblockt. Vor allem die Medien in Bangkok selbst haben sich in den vergangenen Wochen immer mehr auf die Seite der Regierung geschlagen und deren Diffamierungskampagnen gegen die Demonstranten und deren Anführer mitgetragen.

Dennoch lässt das Zentrum für die Lösung von Notstandssituationen (Cres), der gemeinsame Notstandsstab von Armee und Regierung, am Nachmittag sämtliche staatlichen Sender gleichschalten. Bangkoks Fernsehstationen übertragen den ganzen Abend lang Erklärung von Armee und Regierung. Teilnehmer einer Talkshow diskutieren Wege aus der Krise. Dazwischen wird immer wieder ein kurzer Film eingespielt, der in Thailand normalerweise vor jedem Kinofilm gezeigt wird.

Er zeigt Thailands 82-jährigen König, der seit Monaten mit einer schweren Erkrankung im Krankenhaus liegt, mal als Wissenschaftler, mal als renommierten Jazzmusiker, mal als kreativen Erfinder. Eine Kinderstimme erzählt dazu, wie sehr alle Thais ihren „Vater“ bewundern, und preist die Einheit der Menschen in Thailand.