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Archiv-Artikel

„Die Kultur stirbt ohne Schöpfung“

AFRIKA 2010 Der senegalesische Weltstar Youssou N’Dour spielt am Sonntag auf dem Africa Festival in Würzburg. Zuvor sprach er mit der taz über die Selbstwahrnehmung des Kontinents, Bootsflüchtlinge, Musik im Internet und das Zeitalter der Abschottung

Youssou N’Dour

■ geb. 1959 in Senegal, gilt als einer der wichtigsten Musiker der Gegenwart und Förderer einer unabhängigen afrikanischen Musikindustrie. Er besitzt in Senegal ein eigenes Studio und Senegals auflagenstärkste Tageszeitung, L’Observateur. Am Pfingstsonntag diskutiert Youssou N’Dour auf dem Würzburger Africa Festival mit der taz und gibt ein Konzert. Mainwiesen, Würzburg, So. 11/20 Uhr, www.africafestival.org

INTERVIEW DOMINIC JOHNSON

taz: Herr N’Dour, in diesem Jahr 2010 versucht sich Afrika anders zu präsentieren: nicht mehr der Elendskontinent, sondern der Kontinent der Fußballweltmeisterschaft, einladend und offen. Entspricht dieses neue Image der Realität?

Youssou N’Dour: Ein wenig schon. Man darf das negative Bild eines Afrika der Konflikte, der Armut und der Krankheiten nicht leugnen. Aber man sollte nicht nur davon reden. Das marginalisierte Afrika, von dem die Welt nicht spricht, ist das neue Afrika mit einer aufgeweckten Jugend, die weiß, was in der Welt passiert, die vorankommen will. Es gibt zwei Seiten zu Afrika.

Hat die neue Generation denn die Mittel, sich zu verwirklichen?

Es ist keine Frage der Mittel, es ist eine Frage der Ideen. Ich finde, die neue Generation hat eine sehr klare Vision. Wir haben vielerorts politische Systeme, in denen sich die Menschen nicht frei ausdrücken können. Aber immer mehr Bevölkerungen nehmen sich der öffentlichen Sache an, beteiligen sich an Wahlen, damit sie Menschen mit klaren Ideen wählen können. Die Mittel sind also da. Aber es müssen jetzt die Wege freigeräumt werden, der soziale Druck, die Wahlen, damit die Jugend ihre Visionen umsetzen kann.

Vor kurzem schrieb bei uns ein ugandischer Journalist, Wahlen in Afrika dienten vor allem der Legitimation des Diebstahls. Gibt es nicht tatsächlich Enttäuschung, nachdem so viele Wahlen nicht wirklich frei gewesen sind?

Ja gut, aber es gibt Länder, die vorankommen. Und wenn Wahlen nicht gut verlaufen, dürfen die Leute nicht zu Hause bleiben. Sie müssen sich wehren, sie müssen sich engagieren! Nicht nur ausländische Beobachter, sondern die gesamte Bevölkerung muss sich einsetzen.

Sie haben ja selbst in Senegal vor zwanzig Jahren den Wandel besungen, das Reinemachen, „sopi“ und „set-setaal“. Hat das etwas gebracht?

Ich blicke immer nach vorn. Seit Abdoulaye Wade vor zehn Jahren Präsident wurde, hat sich viel getan, und es gibt auch vieles, was sich nicht getan hat. Das ist normal. Es wurde viel Infrastruktur gebaut, das ist nicht schlecht. Es gibt öffentliche Debatten. Auch ich äußere mich, zum Beispiel als letztes Jahr die Energieprobleme und die Stromknappheit Themen waren, habe ich ein Lied darüber gemacht. In anderthalb Jahren gibt es Wahlen, und dann kann das senegalesische Volk urteilen.

Werden Sie zu den Wahlen kandidieren, wie es manche behaupten?

Nein. Ganz klar: Ich kandidiere nicht. Ich interessiere mich für das Land, ich habe keine persönlichen Interessen. Jetzt konzentriere ich mich auf mein neues Album „Dakar–Kingston“, auf die Tourneen, den Großauftritt in Bercy, dann komme ich nach Hause zurück und werde mich zur Lage äußern, nicht vorher.

Ihre Heimat Senegal macht hier vor allem als Auswanderungsland Schlagzeilen. Man sieht die Elendsboote auf dem Weg auf die Kanaren, voll mit Leuten, die eine gewisse Idee von Europa im Kopf haben, die wohl nicht der Realität entspricht, und man fragt sich, wie verzweifelt wohl diese Jugend sein mag.

Es gibt in unterentwickelten Ländern immer Auswanderung, auch in Senegal, weil die Jugend keinen Platz findet. Jugendliche, die sich keine abgeschlossene Schulbildung leisten können, denen niemand eine Berufsausbildung bietet, haben nichts und sind verzweifelt. Ich rate den Jungen immer davon ab, in die Boote zu steigen, denn Europa ist nicht das Eldorado, das sie denken. Aber es schwierig, ihnen das verständlich zu machen. Man muss ja auch vom Ungleichgewicht zwischen Europa und Afrika sprechen. Das sieht man überall. Entwicklungshilfe kommt nicht bei den Menschen an, die Zusammenarbeit zwischen Reichen und Armen ist unterentwickelt. Wenn die Leute sich selbst überlassen sind, gehen sie Risiken ein. Dann fallen sie bei Ihnen ein.

Warum suchen die Leute das Glück anderswo, statt es bei sich aufzubauen?

Ich verstehe das nicht. Ich regiere ja nicht das Land, ich bin nicht dafür verantwortlich, ich kann es Ihnen nicht erklären, und ich verstehe nicht wirklich, warum diese Jugend unnütze Risiken eingeht.

Wie gibt man dieser perspektivlosen Generation Hoffnung? Wo sind positive Vorbilder?

Die positiven Vorbilder sind Leute wie ich, die hier bleiben und arbeiten, die zeigen, dass man normale Dinge tun und sich an der Entwicklung seines Landes beteiligen kann. Dieses Image versuche ich zu geben. Ich bin nicht allein. Es gibt Afrikaner, die in Afrika Erfolg haben, die den Weg weisen. Das mag einige überzeugen. Aber letztendlich ist es die Verantwortung der Familien, und mehr noch des Staats.

Können die Leute auf etwas Eigenes zurückgreifen, um ihre Zukunft zu bauen? Sich nicht nur an der Fremde orientieren, sondern an der eigenen Vergangenheit, der eigenen Kultur? Oder ist das unnütze Nostalgie?

Die Dinge sind ganz einfach. Das Problem ist ökonomisch. Rein ökonomisch. Es hat nichts mit Vergangenheit zu tun. Die Leute haben keine Arbeit, weil sie die Schule nicht abschließen konnten. Nun stehen sie mit 25 bis 30 Jahren da und sehen keine Zukunft für sich. Also gehen sie Risiken ein, um doch ein wenig Geld zu verdienen. Sie haben gar keine Zeit, sich der Vergangenheit zu widmen.

Also ist es Unsinn, von einem neuen Afrika zu reden, das sich intellektuell emanzipiert, das stolz ist, das nicht mehr nach Europa blickt …

Wenn das ökonomische Problem nicht geregelt wird, wenn Sie nicht die Welt etwas ausgeglichener gestalten, dann werden die Leute ständig zu Ihnen kommen, und das ist völlig legitim. Die Welt muss ins Gleichgewicht kommen. Heute befindet sich der Reichtum nur auf einer Seite. Das ist nicht normal. Wir leben alle in einer Welt, wir sehen dieselben Dinge, und die Jugend revoltiert.

Ist die internationale Musikindustrie auch unausgeglichen?

Auch das ist ein ökonomisches Problem. Heute kann jedermann mit Internetanschluss zu Hause die Filme sehen, die er will, und die Musik hören, die er will. Die Leute haben immer weniger Zeit, Platten zu kaufen. Wir hatten schon das Problem der Piraterie, nun verschwindet auch noch der Verkauf völlig. Man kauft keine Musik mehr, man lädt sie herunter.

Gleichzeitig wird die Musik- und Filmschöpfung dadurch einfacher, auch in Afrika …

Ja sicher. Aber es sind die Telefongesellschaften, die daran verdienen. Sie haben den Markt übernommen. Sie sollten die Musikindustrie subventionieren, in Kreativität investieren, die Gründung von Musikverlagen finanzieren, mit denen man Geld durch das Herunterladen von Musik verdienen könnte. Ich weiß nicht, wie das geht, aber es ist eine Idee. Ohne Schöpfung stirbt die Kultur und das Leben wird finster.

Interessieren sich Senegalesen – und Afrikaner insgesamt – für die gleiche afrikanische Musik wie das globale Publikum?

Wissen Sie, viele Länder der Welt schotten sich derzeit ab. In Afrika wird viel lokale Musik gespielt. In Senegal spielt man zumeist den lokalen Mbalax, aber der kommerzielle Erfolg senegalesischer Musiker kommt nicht vom Mbalax, sondern von der sogenannten Weltmusik. Ich habe ein Reggae-Album herausgebracht, und es verkauft sich in Senegal gut, aber im Rest der Welt viel besser. In den meisten Ländern ziehen die Leute die lokale Musik vor und öffnen sich nur ein wenig. Das ist nicht schlimm und auch nicht dumm. Wir leben einfach in einer Zeit, in der alle Welt versucht, sich auf sich selbst zu besinnen. Die Schallgrenzen werden erst mal geschlossen. Ich hoffe, dass das nur eine Übergangszeit ist und dass wir bald zu mehr Vielfalt zurückkehren.

Es gibt also in Afrika keine „afrikanische Identität“, kein geeintes „afrikanisches Bewusstsein“?

Es gibt das, aber es ist nicht geeint. Es ist keine Sammlung aller afrikanischen Identitäten. Ich glaube, wir denken alle gleich, aber wir warten noch, dass daraus eine einheitliche Identität wird, die auf ganz Afrika und die Welt ausstrahlt. Ich wünsche mir eine afrikanische Renaissance, ein Afrika, das wieder träumen kann.

Und wie geht das? Wie wird Afrika glücklich?

Indem die Afrikaner wieder Selbstvertrauen gewinnen. Indem die Jugend die Stimme erhebt, so laut wie möglich. Indem es Stolz an der Entwicklung Afrikas gibt. Und indem die Welt Afrika mit zwei Augen sieht. Nicht nur ein negatives Auge, sondern auch ein positives.