: Die Ekstase in der Musik-Musik
DISKURS Soziologe Heinz Bude und Poptheoretiker Diedrich Diederichsen sprechen in der Schaubühne über Spiritualität in der Musik
Religiosität und Spiritualität führen in Literatur und bildender Kunst meist zu Kitsch, Popmusik aber ist erst dann richtig gut, wenn sie spirituell durchdrungen ist. Im Gospel-Soul etwa führt die Suche nach Gott zu den erhebendsten Momenten, und Brian Wilson musste sich bekanntlich erst Sand ins Studio schaufeln lassen, um in einer Schaffenskrise von Irgendetwas inspiriert zu werden, um mit den Beach Boys das Album „Smile“ aufnehmen zu können, das eine „Teenage Symphony to God“ werden sollte.
Der Frage, warum genau diese Spiritualität gerade in der Popmusik fast schon essenziell ist, wollte Diedrich Diederichsen in seinem Vortrag „Spiritualität und Pop-Musik“ in der Reihe „Streit ums Politische“ in der Schaubühne nachgehen. An vier Abenden hat man sich im vorigen Monat dort in Vorträgen mit der „Macht des Spirituellen“ beschäftigt. Für die Abschlussveranstaltung hatte der Moderator, der Soziologe Heinz Bude, dazu den Poptheoretiker Diedrich Diederichsen eingeladen.
Der Ort der Veranstaltung hat wohl dazu geführt, dass Diederichsen nicht vor dem üblichen Kreuzberger Pop-Hipster-Publikum referierte, sondern vor bildungsbürgerlichen Charlottenburgern. Das merkte man auch daran, dass später in der Fragerunde von jemandem aus dem Publikum zugegeben wurde, von Popmusik eigentlich keine Ahnung zu haben.
Gott spricht durchs Saxofon
Der Ausgangspunkt von Diederichsens Vortrag war sehr persönlich. Er machte klar, dass es ihm ein Anliegen war, auch für sich die Frage zu klären, warum er als durch und durch aufgeklärter und säkularer Mensch, der mit Religiosität eigentlich nichts am Hut hat, so anfällig ist für beseelte Klänge aller Art. Er zog nicht viele Namen heran, aber immerhin wurden Jazzer John Coltrane immer wieder erwähnt und Karlheinz Stockhausen. Diederichsen nannte die Klänge von Coltrane, der oft behauptete, Gott habe durch sein Saxofon hindurchgesprochen, oder von Stockhausen, der anfällig war für Mystik und behauptete, er sei auf dem Planeten Sirius ausgebildet worden, „Musik-Musik“.
Also Musik, bei der es im Gegensatz zur Popmusik weniger um die Vermittlung bestimmter Codes, Styles und Images ginge, sondern um die reine Klangerfahrung beim Hörer, das „Bad in der Musik“, durch das dieser gegebenenfalls auch einen Zustand der Ekstase erreichen könne. In der Popmusik dagegen, die mit Musik, so Diederichsen, eigentlich kaum etwas zu tun habe, entstehe Ekstase eher durch Wiedererkennung. Als Beispiel dafür nannte Diederichsen Konzerte der Beatles, bei denen die Menge schon in dem Moment komplett ausrastete, als sie ihre Lieblingsband nur sah, wie sie die Bühne betrat und bevor überhaupt ein Ton zu hören war. Wo genau die Grenze zwischen Popmusik und „Musik-Musik“ verläuft, das machte Diederichsen klar, ist natürlich nicht so genau zu definieren, schließlich ergingen sich auch irgendwelche Hippiebands gern in ausufernden Jams, die gefühlt von einer höheren Macht unterstützt wurden, und auch die Repetition in der Popmusikspielart Techno führt bekanntlich bei einer gelungenen Party zu ekstatischer Hochstimmung. In der „Musik-Musik“, um die es Diederichsen in seinem Referat eigentlich mehr ging als um die Popmusik, ertrage man letztlich die ganze Esoterik, die da teilweise in sie hineinwirkt, indem man die Motivation dahinter besser ausblendet. Diederichsen sagte, er halte beispielsweise bei Stockhausen dessen „spirituellen Irrsinn notwendig für die Musik“. Aber er sagte auch, im Gespräch mit vielen Musikern seien „die Begründungen, warum sie eine bestimmte Musik machen, oft unerträglich“ gewesen. Stockhausen etwa wolle er nicht reden hören, er höre lieber seine Musik. Diese spirituelle, wahnsinnige, großartige Musik.
ANDREAS HARTMANN