: Offensive im Fall Oury Jalloh
FEUERTOD Gutachten widerspricht Selbstmordthese. Staatsanwalt: „Ernste, überraschende Informationen“
■ Der Tod: Der aus Sierra Leone stammende Asylbewerber Oury Jalloh war 2005 an Händen und Füßen gefesselt in einer Dessauer Polizeizelle verbrannt. Die Justiz ging davon aus, dass Jalloh die Matratze, auf die er gefesselt war, selbst angezündet hat. Polizisten sollen ein Feuerzeug in seiner Tasche übersehen haben.
■ Die Verfahren: 2008 wurden zwei wegen fahrlässiger Tötung angeklagte Beamte freigesprochen. Der zweite Prozess endete 2012 mit einer Geldstrafe. Auch gegen dieses Urteil haben alle Parteien eine anhängige Revision eingelegt. Widersprüchlichkeiten in beiden Prozessen hatten Zweifel an der Selbstmordthese genährt. (cja)
AUS BERLIN CHRISTIAN JAKOB
30.000 Euro hatten die Aktivisten bei Unterstützern gesammelt. Es war die letzte Chance, die sie sahen, den Feuertod des Afrikaners Oury Jalloh aufzuklären. Mit dem Geld bezahlten sie den britischen Brandgutachter Maksim Smirnou. Er sollte eine Antwort auf die Frage finden, wie einer der mysteriösesten Todesfälle in einem deutschen Polizeirevier zu erklären ist. Wegen der ungeklärten Todesumstände gab es bereits zwei Gerichtsverfahren gegen zwei Polizisten wegen fahrlässiger Tötung in Dessau und Magdeburg. Sie endeten mit Freispruch oder einer Geldstrafe.
Am Dienstag nun präsentierte die „Initiative Gedenken an Oury Jalloh“ in Berlin die Ergebnisse von Smirnous gut zehnmonatiger Arbeit. Der Sachverständige hatte die Polizeizelle, in der Jalloh 2005 starb, teilweise nachgebaut. In mehreren Brandversuchen hat er Schweinekadaver auf Matratzen aus demselben Material wie in Dessau angezündet.
„Schweinegewebe ist menschlicher Haut am ähnlichsten“, sagte Smirnou. Er kommt zu dem Schluss: Die schnelle und völlige Zerstörung der feuerfesten Matratze, auf der Jalloh fixiert war, das Ausmaß und die Intensität der Verkohlung des Körpers bis in tiefe Hautschichten sei nur durch fünf Liter eines Brandbeschleunigers, etwa Benzin, möglich. „Sonst ist das mit der vorgefundenen Situation in Zelle fünf nicht in Übereinstimmung zu bringen.“ In Versuchen ohne oder nur mit zwei Litern Benzin seien Matratze und Tierkadaver nur oberflächlich verbrannt. Auch die in den Gerichtsakten dokumentierten Konzentrationen von Stoffen wie Blausäure in der Zelle seien nur mit Brandbeschleunigern aufgetreten.
Smirnou hat nach eigenen Angaben in den vergangenen zehn Jahren 300 Brandfälle untersucht. Für Gerichte ist er bislang allerdings nicht tätig geworden.
Die Ergebnisse des Gutachtens sind in einem Video festgehalten. Die Aktivisten haben darin auch Bilder geschnitten, die das Landeskriminalamt Sachsen-Anhalt direkt nach dem Brand in der Zelle mit Jallohs noch gefesselter Leiche gemacht hat. In dem Video wird deutlich, dass die Justiz von Beginn an in eine Richtung ermittelt hat: Noch bevor er den Gewahrsamstrakt betritt, ist ein Polizist mit den Worten zu hören: „Ich begebe mich jetzt in den Keller, in dem sich ein schwarzafrikanischer Bürger in einer Arrestzelle selbst angezündet hat.“
Schon 2005 hatte die Gruppe eine zweite Obduktion der Leiche durchgesetzt und aus eigenen Mitteln bezahlt. Erst da waren Brüche in Jallohs Schädel festgestellt worden, die die ersten Pathologen übersehen hatten.
FOLKER BITTMANN, STAATSANWALT
Die Aktivistin Nadine Saeed erinnerte am Dienstag daran, dass in Jallohs Überresten seinerzeit keine Spuren des bei Brandopfern üblichen Stresshormons Noradrenalin festgestellt worden seien. Das sei nur so erklärbar, dass er bewusstlos war, als das Feuer entzündet wurde. Auch wurden an dem Feuerzeug, das in der Zelle sichergestellt worden sein soll, weder Jallohs DNA noch Bekleidungs- oder Matratzenreste gefunden.
Der Dessauer Oberstaatsanwalt Folker Bittmann sprach von „sehr ernsten, überraschenden und zum Teil erschreckenden Informationen“. Jetzt müsse man sehr genau prüfen, wie man weiter vorgehe, weil einige Punkte früheren Gutachten widersprechen würden. „Das kann nicht einfach weggewischt werden“, sagte Bittmann. Voraussichtlich müsse ein neues Gutachten durch die Ermittlungsbehörden erstellt werden.
Am Montag hatte die Initiative beim Generalbundesanwalt in Karlsruhe „Strafanzeige wegen Totschlag oder Mord gegen unbekannte Polizeibeamte“ erstattet. Sie begründete die Anrufung der obersten Strafverfolger damit, dass es sich um eine „besonders schwere Straftat mit Bezug zur inneren Sicherheit und Verfasstheit der Bundesrepublik handle, und die Täter notwendigerweise Polizisten sein müssen“.