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Archiv-Artikel

„Demokratisierung des Designs“

AUSSTELLUNG Das Wilhelm Wagenfeld Haus widmet dem Namensgeber zum 110. Geburtstag eine große Werkschau. Ein Gespräch über seine Bedeutung, elitäres Design und Ikea

Detlef Rahe, 46

■ ist Professor im Fachbereich „Kunst und Design“ an der Hochschule für Künste in Bremen und Mit-Inhaber des Design-Büros „Rahe+Rahe“. F.: Frank Pusch

INTERVIEW JAN ZIER

taz: Herr Rahe, Wilhelm Wagenfeld hat jene Leuchte entworfen, die als Inbegriff des Bauhaus gilt. Dennoch bringt ihn kaum einer mit dieser legendären Schule in Verbindung.

Detlef Rahe: Wagenfeld hat sich vom Bauhaus emanzipiert und dessen Ideen in die Nachkriegszeit getragen. Viele, die am Bauhaus tätig waren, haben, wie Mies van der Rohe oder Walter Gropius nach dem Krieg in Amerika große Karriere gemacht. Wagenfeld hat selbst in den dreißiger Jahren Produkte gemacht, die man heute noch als wegweisend ansehen würde.

In Bremen führt sein Werk heute, 20 Jahre nach seinem Tod, nur eine Nischenexistenz.

Mich wundert das auch. Die Stadt beginnt grade erst, seine Bedeutung so richtig zu erkennen. Die Bremer dürfen ihn legitim vereinnahmen: Wagenfeld ist hier in Walle geboren und hat bei Koch & Bergfeld seine Lehre gemacht, auch wenn er später nicht mehr hier arbeitete.

Manche billigen Wilhelm Wagenfeld eine ähnliche Rolle zu wie Paula Modersohn-Becker sie in der Malerei hatte ...

Zu recht. Man kann das vergleichen. Obwohl es noch zu wenige wissen. Wagenfeld wird unterschätzt.

Gerade in Bremen?

Die Kenner in Bremen wissen etwas mit ihm anzufangen. Darüber hinaus gibt es viele, die den Namen schon gehört haben, aber unsicher sind, ob es sich nicht doch nur um eine regionale Bedeutung handelt. Die Ausstellung, die wir jetzt sehen, ist die beste Wagenfeld-Ausstellung, die ich je gesehen habe. Sie zeigt das Werk am umfassendsten, ist genauso akkurat und pedantisch aufbereitet wie er selbst auch gearbeitet hat.

Große Designer stellt man sich gemeinhin anders vor.

Ja, es widerspricht dem zeitgenössischen Bild, das von Designern gerne gezeichnet wird. Wobei: So oft treffe ich das in der Realität gar nicht an. Sobald man die Rolle des Gestalters ernst nimmt, hat man sehr viele Verpflichtungen der Gesellschaft, den Nutzern und den Produzenten gegenüber. Das ist nicht mehr mit einer legeren Freiheitsattitüde zu absolvieren. Für das, was Wagenfeld getan hat, braucht man Zähigkeit und Durchsetzungskraft. Die Dinge, die wir da jetzt in der Ausstellung sehen, sind uns oft vertraut, mögen uns bisweilen auch etwas spießig vorkommen, waren aber zu seiner Zeit bahnbrechend. Wagenfeld hat Produktionsverhältnisse, Materialeinsatz und die Kultur des Gebrauchs von Gegenständen umgekrempelt. Und das Imposante ist: Wagenfeld hat sich selbst nie große Bedeutung zugemessen. Er hat immer gesagt: Es geht um die Produkte, nicht um mich.

Heute sind Designer...

... oft umgekehrt.

Wäre Wagenfeld heute ein Star, so wie Philippe Starck?

Er ist ein stiller Star.

Wagenfeld war immer sehr darauf bedacht, dass seine Arbeit bezahlbar bleibt. Seine Leuchte kostet heute aber fast 400 Euro.

Das ist, wenn man so sagen darf, ein doppeltes Unglück. Gerade diese Leuchte steht für viele sinnbildlich für Wagenfeld. Aber die Leuchten für den sozialen Wohnungsbau oder das einfache, industriell produzierte Glasgeschirr sind seine großen Errungenschaften. Hier wurde Design vom Elitären befreit und allen sozialen Schichten zugänglich gemacht. Die Bauhaus-Leuchte war noch viel zu exklusiv gedacht und manufakturell orientiert. Aber weil sie so berühmt und auch wunderschön ist und zudem einen so hohen Wiedererkennungseffekt hat und schwierig zu fertigen ist, kann sie so teuer angeboten werden. Aber das widerspricht der von Wagenfeld postulierten Idee.

Wo findet sich Wagenfeldsches Design heute?

Der Gedanke lebt indirekt bei vielen fort, selbst bei Tupperware. Das ist schlicht, ist funktional, hält lange, ist fürs Volk gemacht und nicht elitär. Die Frage ist, ob die ästhetische Qualität Wagenfeld ausgereicht hätte.

Wäre Ikea also auch im Wagenfeldschen Sinne?

Ikea wird in Designkreisen sehr oft sehr zu unrecht kritisiert. Die haben es geschafft, eine vergleichsweise hohe Qualität von Produkten und Gestaltung in alle Schichten der Gesellschaft zu bringen. Das ist eine Demokratisierung des Designs. Wagenfeld würde heute womöglich selbst für Ikea arbeiten, aber an der einen oder anderen Stelle noch eine höhere Qualität einfordern.

Haben Sie auch Ikea zu Hause?

Selbstverständlich.

Ist Wagenfeld noch ein Vorbild?

Ja.

Auch für Sie?

Ich habe ihn leider nicht selbst erlebt. Wagenfelds Werk schätze und achte ich, aber hat mich persönlich nicht so berührt wie das von Gropius, Mies van der Rohe oder Dieter Rams.

So wie auch sein Design minimalistisch, aber eher kühl und unemotional ist?

Es ist sehr akkurat. Oft liegt man nicht so verkehrt, vom Design auf den Designer zu schließen.

Was sagen ihre Studenten zu Wagenfeld?

„Boah, geil, ey“. Viele Zusammenhänge waren ihnen unbekannt. Designstudenten wissen zu Studienbeginn oft nicht viel von Designgeschichte.

Wobei: Heute ist vieles, was im Design zu sehen ist: Retro-Look.

Das ist etwas ganz Furchtbares. Heute stilistisch etwas nachzuahmen, was in der Vergangenheit populär und gerechtfertigt war, zeugt nicht von Erneuerungsgeist. Beim Retro-Design würde sich Wagenfeld im Grabe umdrehen.

Das heißt: Man sollte keine Bauhaus-Leuchte mehr kaufen?

Kaufen. Aber nicht gestalten.

Bis 12. September im Wilhelm Wagenfeld Haus, Am Wall 209