: 133:0 für Hamburg
Die „Blue Goals“ auf Dächern und Sehenswürdigkeiten werden zum Hamburger Wahrzeichen der Fußball-WM. So war das aber nicht gemeint: Ihr Schöpfer, der Lichtkünstler Michael Batz, ist gar kein Fußballfan, und seine Tore möchte er nicht ausschließlich als solche verstanden wissen
von Anja Tiedge
Sogar der Himmel spielt mit. Blau strahlt er über Hamburg – in der Farbe des Abends. Das 110. „Blue Goal“, das gleich in 30 Metern Höhe auf dem Renaissance-Hotel eingeweiht wird, ist dagegen noch weiß. Erst wenn der rote Knopf gedrückt wird, gehen die blauen Leuchtröhren des Tors an.
„Hoffentlich ist die Sonne gleich weg“, sagt Madeleine Marx, Direktorin des Hotels. Ein wenig sorgenvoll blickt sie zum Dach hinauf. Denn in der hellen Abendsonne wirkt das Tor doch recht unscheinbar.
Hier unten, auf dem Parkplatz vor dem Hotel, sollen drei blau-weiß eingedeckte Stehtische für festliche Stimmung sorgen. Die überwiegend schwarz gekleideten Hotelangestellten und Gäste legen immer wieder ihren Kopf in den Nacken, stolz, fröhlich, staunend. In Sektgläsern wird blaues „Zuckerwasser“ serviert, wie Michael Batz es im Scherz nennt. Er ist Künstler und der Schöpfer der Blue Goals. Seit seine blauen Tore in Hamburg „Akzente einer welt- und zukunftsoffenen Haltung“ setzen, wie es auf der offiziellen Internetseite heißt, wird Batz von den Medien als „Christo von der Elbe“ gefeiert. Diesen Vergleich lehnt Batz ab: „Christo hat etwas ganz anderes, Eigenes geschaffen.“
Überhaupt gebe es in der Öffentlichkeit viele Missverständnisse. Ein großer Fußballfan sei er nicht und auch die Idee hatte nichts mit Fußball zu tun. „Vor einigen Jahren war ich in Shanghai. Dort gibt es auf vielen Häusern Aufbauten, die mit Licht arbeiten und spielen.“ Das Blue-Goal-Projekt stehe unter anderem als Symbol für die Städtepartnerschaft zwischen Hamburg und Shanghai, die kommenden September ihr zwanzigjähriges Jubiläum feiert. Die blauen Tore seien Lichtkunst-Objekte, die im Grunde nichts mit Fußball zu tun hätten. „Sie sind ein Imaginationsrahmen, um über das Thema Stadt nachzudenken.“ Das Ganze sei kein Sport-, sondern ein Kunstprojekt. „Ob man in den Blue Goals Fußballtore sieht, ist eine Frage der Interpretation.“
In seiner Rede zur Einweihung des Renaissance-Tors sagt Batz das auch. Den vor WM-Vorfreude strahlenden Menschen, die ihn erwartungsfroh ansehen, bringt er es aber vorsichtig bei: „Dieses Tor ist nicht nur ein Fußballtor.“ Anschließend wird zu viert auf den roten Knopf gedrückt. Die Aluminiumtraversen, die schon seit zwei Wochen auf dem Hoteldach auf ihre Erleuchtung warten, dürfen endlich dem Namen „Blue Goal“ gerecht werden.
Stürmen bis zu Windstärke zwölf müssen die Bauten trotzen, was teure technische Prüfungen voraussetzt. Denn was den einen ein Kunstwerk und den anderen ein blaues Fußballtor, ist den Behörden eine Baumaßnahme, die baurechtlichen Vorschriften entsprechen muss. So kommt es, dass die Kosten für ein Blue Goal zwischen 4.000 und 6.000 Euro betragen. Die Tore selbst seien gratis, wie Batz betont, weil die Traversen und die Leuchtmittel von Unternehmen gesponsort werden.
Und was verdient der Künstler? „Nichts“, sagt Batz entschlossen. „Das war von Anfang an Bedingung: Dass niemand, auch nicht ich, Gewinn macht.“ Natürlich gebe es viele Trittbrettfahrer, die das Projekt vermarkten und ein Stück vom Kuchen abhaben wollen. „Da kommen Anfragen vom Manschettenknopf bis zum T-Shirt.“ Aber solange Batz nicht einwilligt, darf niemand die Blue Goals zu Geld machen.
Hartnäckige, die das nicht einsehen, gebe es nur selten. Damit meint Batz zum Beispiel die Feuerwehr Schwarzenbek, die sich ein selbstgebasteltes Blue Goal auf ihrem Dach installierte. „Das war in höchstem Maße unfair.“ Begeisterung sei keine Lizenz zum Amoklauf: „Nur, weil ich Löschfahrzeuge toll finde, nehme ich mir keins von der Feuerwehr und fahre damit in der Stadt rum.“
Mittlerweile gibt es dennoch ein „Nebenprodukt“: das „Mini Blue Goal“ für die Fensterbank. Auf verstärkten Druck von Medien und Öffentlichkeit hin habe er in die Produktion eingewilligt, so Batz. Die Hamburg Marketing verkauft das Mini-Tor zum stolzen Preis von 149 Euro. Der Künstler verdient nach eigenen Angaben auch hierbei nichts. Laut Thorsten Kausch von der Hamburg Marketing gehen neben den Materialkosten zehn Euro an einen guten Zweck, rund 30 Euro kommen der Hamburg Marketing zugute. Was übrig bleibt, ist für die Finanzierung der Laseranlagen geplant, die bald etliche der Blue Goals durch Laserstrahlen „verbinden“ sollen.
Von der Dachterrasse des Renaissance-Hotels, wohin Künstler und Gäste nach dem Empfang auf dem Parkplatz gelotst werden, sind zwar noch keine Laser zu sehen. Dafür bereits vier weitere Tore auf anderen Dächern. Je dunkler es wird, desto mehr Tore kann man erkennen. Batz, Autor des Theaterstücks „Hamburger Jedermann“, wird poetisch: „Licht ist die Literatur der Nacht. Ein verborgener Text, den ich am Tag nicht sehen kann.“
Das Klischee des abgehobenen Künstlers erfüllt Batz aber nicht. Er kann sich auch über Alltagsgeschichten freuen: Zum Beispiel, wenn Piloten ihre Fluggäste über Hamburg auf die Blue Goals aufmerksam machen. Oder wenn ein dreijähriges Kind in Altona nicht einschlafen kann, bevor es nicht das Blue Goal vor seinem Fenster gesehen hat.
In der blau ausgeleuchteten Renaissance-Suite wird derweil die „Blue Hour“ zelebriert. Alles ist blau: vom Teppich über die Getränke bis hin zum Kartoffelsalat. Draußen wie drinnen ist klar: Die Hamburger mögen ihre blauen Tore und stehen zu ihnen. Wenn es nach Batz geht, sind sie aber nicht für die Ewigkeit: „Bei aller Liebe müssen sich die Hamburger daran gewöhnen, dass die Tore auch wieder verschwinden werden. Ganz nach dem Motto: Wenn’s am schönsten ist, soll man aufhören.“ Das leuchtet ein.
Während des Verfassens dieses Textes ist die Zahl der Blue Goals in Hamburg weiter angewachsen. Tor Nr. 133 wurde gestern auf dem Dach der HanseMerkur Versicherungsgruppe an der Binnenalster eingeweiht