: Parteiische Piktogramme
AGITPROP Landminen, Festung Europa, Denkfabriken: Alice Creischer und Andreas Siekmann zeigen in Bremen Grafiken, die auch jenseits der Galerie funktionieren
VON DIERCK WITTENBERG
„Es sieht ein bisschen so aus, als hätte sich hier ein ambitionierter Gemeinschaftskundelehrer ausgetobt“, bemerkte ein Besucher am Rande des Eröffnungsabends. Erwartungshaltungen an bildende Kunst befriedigen die Grafiken von Alice Creischer und Andreas Siekmann, die derzeit im „K’ – Zentrum Aktuelle Kunst“ gezeigt werden, offensichtlich nicht. Sie sollen es auch nicht. Ihnen gehe es darum, „Macht- und Wirtschaftsverhältnisse zur Darstellung zu bringen“ und zu zeigen, „dass es nicht so sein muss“, sagt Andreas Siekmann.
Dafür wählten die documenta-Künstler eine Form, die in der Tat an Schulbuch-Illustrationen erinnert: Mengenverhältnisse wurden in Piktogramme übersetzt. So steht die Anzahl geballter Fäuste für die der Streiktage in verschiedenen Ländern; Figuren, die einen Sarg tragen, für die Toten an den Außengrenzen der „Festung Europa“; Anzugträger mit Atompilz-Kopf für die wachsende Zahl konservativer Denkfabriken im Nuklearzeitalter.
Wenn dem Betrachter dabei womöglich Assoziationen mit Infografiken aufkommen, dann liegt das sehr wahrscheinlich auch am Einfluss, den die Vorbilder der aktuellen Arbeit von Creischer und Siekmann bis heute ausüben. „Zur Aktualisierung des Atlasses von Arntz und Neurath“ heißt ihre Ausstellung. Im roten Wien der ausgehenden Zwanzigerjahre entwickelten der Nationalökonom Otto Neurath und der Grafiker Gerd Arntz eine mit Piktogrammen arbeitende Bildsprache, die sie Isotype nannten. Für deren Anliegen – komplexe Sachverhalte in eine ebenso verständliche wie genaue Form zu bringen – steht insbesondere ihr 1930 erschienener Bildatlas „Wirtschaft und Gesellschaft“.
An diesen Atlas knüpfen Creischer und Siekmann nun an. Die darin enthaltenen statistischen Blätter haben sie um neue Grafiken erweitert, die Neurath/Arntz entweder aktualisieren oder einen Gegensatz herstellen. Dem trägt die Ausstellung Rechnung, indem sie auch Reproduktionen aus dem Atlas von 1930 zeigt. Sie sind in einer Linie gehängt, Creischers und Siekmanns Antworten jeweils darüber. Die Arbeit funktioniere, so Siekmann, als „dialektischer Dreisatz“, an dessen Ende möglichst eine eigene Erkenntnis beim Betrachter stehen solle.
Eine womöglich dialektische Spannung ergibt sich schon aus der zeitlichen Differenz. Das ursprüngliche Projekt entstand in der Hochphase des Fordismus und war noch von der Hoffnung getragen, der Arbeiterschaft Wissen für ihre revolutionären Bestrebungen an die Hand zu geben. Heute hätten, so Siekmann, Konzerne die Nationalstaaten als entscheidende Akteure abgelöst. Entsprechend stellen Creischer und Siekmann der historischen Darstellung von Toten im Ersten Weltkrieg eine Grafik zu den Profiten gegenüber, die deutsche Firmen mit der Produktion von Landminen machen.
Die Grafiken, denen zum Teil aufwendige Recherchen zugrunde liegen, sind parteiisch und argumentativ, sagen Creischer und Siekmann. Als Künstler möchten sie dem Verlust von politischen Inhalten entgegenarbeiten. Dieses Ansinnen ist der Bremer Ausstellung so deutlich eingeschrieben, dass auch das Künstlergespräch am Eröffnungsabend eher den Verlauf einer Diskussionsveranstaltung nahm. In der Tat laden die Arbeiten viel stärker zur politischen als zur ästhetischen Auseinandersetzung ein. Sie würden auch jenseits einer Galerie, etwa in einer globalisierungskritischen Broschüre funktionieren.
■ bis 13. Dezember, K’ – Zentrum Aktuelle Kunst, Alexanderstr. 9b, www.k-strich.de